Georgien - Jahresbericht 2019

Konferenz zum Thema Staatshaftungsrecht. Auf dem Podium: Richterin Mzia Todua (Mitte), kommissarische Vorsitzende des Obersten Gerichts
Konferenz zum Thema Staatshaftungsrecht. Auf dem Podium: Richterin Mzia Todua (Mitte), kommissarische Vorsitzende des Obersten Gerichts

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Die Annäherung an EU-Recht und EU-Standards sowie die Integration in die NATO blieben auch 2019 erklärtes Ziel Georgiens. Im Rahmen des zwischen der EU und Georgien geschlossenen Assoziierungsabkommens wurde bislang eine Vielzahl von Reformen umgesetzt, der innenpolitische Reformwille besteht auch darüber hinaus fort. Dennoch kommt von dem bisher Erreichten nur wenig bei der Bevölkerung an.

Auch wirkt sich die bessere Gesamtwirtschaftslage des Landes kaum auf die wirtschaftliche Situation der Bürgerinnen und Bürger aus. Hinzu kommt, dass sich sowohl die innen- als auch die außenpolitische Situation verschlechtert und zur wachsenden Unzufriedenheit der Menschen in Georgien beigetragen hat. Insbesondere das angespannte Verhältnis zu Russland trug zu einer weiteren Verschärfung der innenpolitischen Lage bei und führte zu größeren Demonstrationen, bei denen es zu umstrittenen Reaktionen der Sicherheitskräfte kam. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ lenkte ein und versprach die Einführung eines Verhältniswahlrechts für die nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2020 – eine zentrale Forderung der Opposition. Zudem trat Ministerpräsident Mamuka Bachtadse zurück, Nachfolger wurde der bisherige Innenminister Georgi Gacharia. Die für eine Wahlrechtsreform notwendige Verfassungsreform wurde jedoch im Parlament von der regierenden Partei nicht unterstützt, sodass die hierfür erforderliche Dreiviertelmehrheit nicht zustande kam, wonach es wieder zu öffentlichen Protesten kam. Es bleibt abzuwarten, ob diese Situation nicht zu vorgezogenen Neuwahlen führt.

In justizpolitischer Hinsicht erwähnenswert ist wegen der für die Justiz besonderen Bedeutung die bereits seit August 2018 anhaltende Vakanz des Vorsitzes des Obersten Gerichts und – in Personalunion – des Vorsitzes des Obersten Justizrats. Eine Nachbesetzung ist für die erste Jahreshälfte 2020 zu erwarten.

Konzeption

Die IRZ widmet sich in Georgien weiterhin der fachlichen Begleitung und Umsetzung von Reformvorhaben im Strafrecht. Dabei kooperiert die IRZ mit dem Rechtsausschuss des Parlaments, sofern es um die Begutachtung von Gesetzesvorhaben geht, sowie mit den relevanten Akteuren aus der Justiz, in erster Linie dem Obersten Gericht und weiteren Gerichten, der Hauptstaatsanwaltschaft Georgiens, dem Justizministerium und der georgischen Anwaltskammer. Daneben umfasst die Zusammenarbeit den gezielten Fachaustausch zwischen den Angehörigen dieser Partnerinstitutionen und ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen, um aktuelle Rechtsfragen und Entwicklungen vergleichend zu diskutieren. Daher sind auch die Kooperationen mit der Staatlichen Universität Tiflis und mit Rechtsfakultäten weiterer Universitäten, aber auch mit dem Trainingszentrum für Strafvollzug, wichtige Bausteine der Projektarbeit.

Einen weiteren Schwerpunkt setzte die IRZ 2019 mit einem umfassenden Projekt zum Thema Medienrecht, das vom Auswärtigen Amt finanziert wurde. Hierbei stand der Fachaustausch zwischen Justiz, Politik, Wissenschaft, Medien und Studierenden im Mittelpunkt.

Tätigkeitsschwerpunkte 2019

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Nationaler Moot Court im Verfassungsrecht für georgische Jurastudierende in Batumi
  • Herausgabe der Publikation „Diskriminierungsverbot in der nationalen Rechtsprechung“ des Obersten Gerichts von Georgien

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Deutsch-georgisches Anwaltsforum zu zivil- und wirtschaftsrechtlichen Fragen in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer

Öffentliches Recht

  • Seminar in Kooperation mit der analytischen Abteilung des georgischen Justizministeriums zur Korruptionsprävention und Korruptionsrisikobewertung
  • Mentoren-Training im Rahmen des Projekts zur Entwicklung eines Mentoren-Systems für das Trainingszentrum des georgischen Parlaments (PTC)
  • Workshop zur finalen Korrektur und Editierung der Fallsammlung zur Gutachtentechnik im Verwaltungsrecht
  • Auftaktkonferenz zum Thema „Medien unter neuen Herausforderungen“
  • Herbstakademie in Medienrecht
  • Fünf Seminare zu den Themen Social-Media-Recht, Datenschutzrecht, Medien und Ethik, Medien und Politik
  • Seminar für Richterinnen und Richter des Obersten Gerichts von Georgien zum Thema Staatshaftungsrecht
  • Abschlusskonferenz zum Thema „Grenzen der Meinungsfreiheit“

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Arbeitsbesuch von Abgeordneten des georgischen Parlaments sowie von hochrangigen Vertretern des Verfassungsgerichts von Georgien zum Thema „Rechtsgrundlagen, praktische Anwendung und Kontrolle von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen insbesondere von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen“
  • Tagung im Obersten Gericht von Georgien zum Thema „Adversatorische und inquisitorische Verfahrensmodelle: eine rechtsvergleichende Analyse“
  • Konferenz in Kooperation mit der Staatlichen Ivane-Javachishvili-Universität Tiflis zum Thema Medizinstrafrecht
  • Online-Fachpublikation „Deutsch-georgische Strafrechtszeitschrift“ (www.dgstz.de): Veröffentlichung von wissenschaftlichen Beiträgen, Tagungsberichten und Rechtsprechung
  • Beratung bei der Gestaltung eines Strategiepapiers zur Entwicklung der psychischen Gesundheit im Strafvollzug
  • In Kooperation mit der GIZ in Georgien: Publikation des South Caucasus Law Journal, Vol. 9/2018 /2019 (Thema: Jugendstrafrecht)

Aus- und Fortbildung

  • Teilnahme von drei Jurastudierenden an der „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn
  • Teilnahme von zwei Richtern an der Internationalen Konferenz der Memorandumgruppe mehrerer nationaler Richterassoziationen in Bonn
  • Erwerb deutscher Rechtsliteratur und Kommentare für den Rechtsausschuss des georgischen Parlaments

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU-Technical-Assistance-Projekt: Support to the Independence, Accountability and Efficiency of the Judiciary in Georgia

Seit Oktober 2016 ist die IRZ als Partner an diesem 41-monatigen EUfinanzierten Projekt in Georgien beteiligt. Die IRZ unterstützt den Obersten Gerichtshof, den Obersten Justizrat (HCoJ), das Verfassungsgericht und diverse Gerichte bei der Steigerung der Unabhängigkeit, Effizienz und Unparteilichkeit der georgischen Justiz.

Nach langen Diskussionen und Debatten war es möglich, die „4th Wave“Justizreform durchzusetzen. Sie sieht vor, dass Probleme im Bereich der überlangen Verfahrensdauern und der gerichtlichen Überlastung gelöst werden. Die Justizreform enthält auch Änderungen in Bezug auf das Mandat des HCoJ, eines unabhängigen Gremiums, das für die Auswahl und Ernennung von Richterinnen und Richtern zuständig ist, und der High School of Justice (Richterschule). In den meisten Fragen gab es einen Konsens zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der Justiz, des Parlaments, des Justizministeriums, internationaler Organisationen und der NGO-Koalition.

2019 organisierten die Projektverantwortlichen eine weitere Schulungsrunde, eine Sommerschule für georgisches Justizpersonal unter der Schirmherrschaft des Obersten Gerichtshofs von Georgien sowie des HCoJ und der Richterschule. Diese Aktivität diente dazu, die ständige Koordination und Kommunikation zwischen Richterinnen und Richtern sowie Justizmitarbeiterinnen und Justizmitarbeitern mit den jeweiligen Verantwortlichen oder Organen zu institutionalisieren. Zu diesem Zweck diskutierten Richterinnen und Richter mit Justizmitarbeiterinnen und Justizmitarbeitern problematische rechtliche Fragen. Außerdem fanden im Rahmen des Projekts Veranstaltungen mit dem Alumni-Netzwerk der Sommerschulen statt. Dies verbesserte die Qualität der Koordination und Komplementarität zwischen der juristischen Ausbildung von Richterinnen und Richtern auf der einen Seite und dem Justizpersonal, Jurastudierenden, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten auf der anderen Seite. Es wird empfohlen, eine rechtzeitige Projektverlängerungsanalyse einzuleiten, um die Unterstützung für den georgischen Justizsektor reibungslos fortzusetzen.

Ausblick

2020 soll die gute und bewährte Zusammenarbeit mit den Partnerinstitutionen weiter fortgesetzt und nach Möglichkeit vertieft werden. Dies betrifft unter anderem auch die Zusammenarbeit mit dem Justizministerium, die wieder stärker in den Mittelpunkt rücken könnte. Darüber hinaus erwägt die IRZ eine engere Kooperation mit der Richterschule, um die nachhaltige Ausbildung von Richterinnen und Richtern zu fördern. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den juristischen Fakultäten in Georgien, mit denen die IRZ ein Aus- und Fortbildungsprogramm zur Arbeitsmethodik und Falllösungstechnik im Straf-, im Zivilund im Öffentlichen Recht entwickeln und einführen könnte, um die Ausbildung des juristischen Nachwuchses zu verbessern. Insgesamt plant die IRZ, ihre Beratung in Georgien über das Thema Strafrecht hinaus weiter auszudehnen.