Tunesien – Jahresbericht 2022

Seminar zum Thema Reform der Justiz und Optimierung der Prozessdauer in Tunesien.
Seminar zum Thema Reform der Justiz und Optimierung der Prozessdauer in Tunesien.

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Tunesien befindet sich nach wie vor in einer Phase des politischen Umbruchs. Nachdem Präsident Kais Saied im Sommer 2021 das Parlament suspendierte, stimmte die tunesische Bevölkerung am 25. Juli 2022 in einem Referendum über eine neue Verfassung ab, die mit 92 Prozent der abgegebenen Stimmen angenommen wurde. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 30 Prozent der Wahlberechtigten.

Am 17. Dezember 2022 war die tunesische Bevölkerung zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Die Wahlbeteiligung ging im Vergleich zur vorherigen Wahl weiter zurück. Verschiedene Oppositionsparteien hatten zum Boykott der Wahl aufgerufen. Die Rolle der politischen Parteien im neuen Wahlsystem ist deutlich abgeschwächt worden, da das Wahlrecht stark personalisiert wurde.

Diese aktuellen – auch in 2023 bislang nicht nachlassenden – politischen Entwicklungen werden mit großer Sorge beobachtet.

Sozial und wirtschaftlich führten die COVID-19-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu einer hohen Inflationsrate von zeitweise bis zu 9 Prozent, die besonders die Lebenshaltungskosten in die Höhe trieb.

Trotz der politischen Umbrüche setzte Tunesien 2022 die Reformen im Bereich der Justiz weiter fort. Das tunesische Justizministerium entwickelte einen Aktionsplan zur Reform der Justiz 2022–2025 mit Schwerpunkten auf der Modernisierung und Digitalisierung der Justiz, der Optimierung der Verfahrensdauer, der Förderung der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Bekämpfung und Prävention von Korruption.

Konzeption

Die Zusammenarbeit zwischen der IRZ und Tunesien basiert auf der Anfang 2017 geschlossenen und im Jahr 2022 aktualisierten gemeinsamen Absichtserklärung über die rechtliche Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Justizministerium der Republik Tunesien. Schwerpunkte dieser Vereinbarung liegen unter anderem beim Straf- und Strafprozessrecht, Gerichtsaufbau, bei der Gerichtsorganisation, der Digitalisierung der Justiz, beim Aufbau einer Wirtschaftsgerichtsbarkeit sowie bei der Korruptionsbekämpfung.

2022 führte die IRZ auch im Rahmen der 2021 vom Auswärtigen Amt initiierten „Ta’ziz- Partnerschaft für Demokratie“ Projekte zur Unterstützung der Reformprozesse im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in Tunesien durch.

Neben dem tunesischen Justizministerium ist auch die Generalstaatsanwaltschaft langjähriger Projektpartner der IRZ. Je nach Themenschwerpunkt sind zudem einzelne Fachbereiche der tunesischen Gerichtsbarkeit, die Anwaltskammer, der Hochschulbereich und das im Auftrag des Justizministeriums tätige Zentrum für juristische und justizielle Studien wichtige Partner der Zusammenarbeit in Tunesien.

Zusätzlich zu den seit vielen Jahren kontinuierlich behandelten Schwerpunkten, wie etwa der Förderung der Unabhängigkeit der Justiz, wurden auch in diesem Jahr Themen wie die Digitalisierung und die Modernisierung der Justiz und Justizverwaltung, wie zum Beispiel der Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs, behandelt. Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die Reform und die Effizienzsteigerung des tunesischen Justizsektors. Die IRZ setzte auch die Beratungen zur Strafrechtsreform fort und vertiefte die Zusammenarbeit im Bereich des Wirtschaftsrechts.

Das 2018 eingerichtete Regionalbüro in Tunis unterstützt die Umsetzung der Projektaktivitäten der IRZ sowohl in Tunesien als auch in der gesamten Region Nordafrikas.

Tätigkeitsschwerpunkte 2022

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Workshop zum Thema „Schiedsgerichtsbarkeit“ mit der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) und dem tunesischen Justizministerium, dem Zentrum für juristische und justizielle Studien und der juristischen Fakultät in Tunis
  • Online-Expertengespräche zur Modernisierung des Grundbuchsystems und des Katasterwesens

Rechtspflege

  • Erfahrungsaustausch zu Konzepten und Methoden der internen und externen gerichtlichen Kommunikation, zu Geschäftsabläufen und zur Ermittlung des Personalbedarfs im Sinne einer Effizienzsteigerung der Gerichtsver­waltung mit den Verwaltungsleitungen von verschiedenen Gerichten
  • Workshop zum Thema „Digitalisierung der Justiz, elektronischer Rechtsverkehr und Datenschutz“ unter Beteiligung des tunesischen Justizministeriums
  • Internationale Veranstaltung zum Thema „Optimierung der Verfahrens- und Prozessdauer“ zur Förderung der Effizienz der Justiz mit dem tunesischen Justizministerium, dem Zentrum für juristische und justizielle Studien, dem Kassationsgerichtshof und dem Immobiliengericht

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Erfahrungsaustausch mit der tunesischen Strafvollzugsbehörde zur Methodik der Erstellung individueller Vollzugspläne als Grundlage zur Vorbereitung von Inhaftierten auf ihre Entlassung und für eine erfolgreiche Wiedereingliederung nach Haftentlassung als Voraussetzungen zur Senkung der Rückfallquote

Aus- und Fortbildung

  • Zwei Workshops zur Konzeption und Wiedereinführung eines Fachabschlusses „Legistik“ an den juristischen Aus- und Fortbildungseinrichtungen in Tunesien mit Dozentinnen und Dozenten der Juristischen Fakultät der Universität in Tunis
  • Blog für afrikanisches und deutsches Recht „IRZ Dialogue Juridique Afro-Allemand“ mit fortlaufenden Online-Publikationen in Form von Beiträgen von Autorinnen und Autoren in deutscher, arabischer und französischer Sprache zu aktuellen rechtspolitischen Themen aus den Partnerstaaten Tunesien, Marokko, Algerien, Senegal sowie aus Deutschland

Ausblick

Ausgehend vom aktuellen Reformbedarf zielen die für 2023 vorgesehenen Aktivitäten der IRZ darauf ab, die Umsetzung der Rechts- und Justizreform in Tunesien weiterhin zu unterstützen. Wichtige Themen bleiben die Zusammenarbeit in den Bereichen des Internationalen Privatrechts, des Zivil- und Strafprozessrechts, der Korruptionsbekämpfung sowie der Unabhängigkeit der Justiz.

Parallel dazu plant die IRZ für das Jahr 2023 mehrere Veranstaltungen mit den tunesischen Partnerorganisationen im Rahmen des durch das Auswärtige Amt geförderten Projekts „Unterstützung der Modernisierung der Justiz in Tunesien im Bereich Strafrecht und Gesetzgebungstechnik“.

Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen bleibt abzuwarten, in welcher Form sich die Zusammenarbeit fortsetzt. Generell soll jedoch an einer Zusammenarbeit mit dem Ziel der Förderung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung festgehalten werden.

Den gesamten Jahresbericht 2022 finden Sie auf unserer Website unter Mediathek – Jahresberichte.