Tunesien – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Die rechtspolitische Lage in Tunesien bleibt auch unter Präsident Saied angespannt und wird von externen Beobachtern als kritisch eingeschätzt. Im Dezember 2022 und Januar 2023 wurde auf Grundlage des durch die neue Verfassung stark veränderten Wahlsystems erstmals ein Parlament gewählt, das nicht nur nach politischen Parteien organisiert ist. Stattdessen ist die Rolle der Provinzen durch ein regionaleres Wahlsystem (zweiter Senat) gestärkt. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist die Situation schwierig: Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut sind nach wie vor hoch, die Inflationsrate lag zwischenzeitlich bei rund 10 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei rund 16 Prozent.

Trotz der politischen Umbrüche und der damit verbundenen Kritik wurden 2023 die Reformen im Bereich der Justiz auf der Grundlage des vom tunesischen Justizministerium entwickelten Aktionsplans zur Reform der Justiz 2022–2025 weiter vorangetrieben. Die Schwerpunkte liegen vor allem auf der Modernisierung und Digitalisierung der Justiz, der Optimierung der Verfahrensdauer, der Förderung der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Bekämpfung und Prävention von Korruption.

Im Juli 2023 unterzeichneten die Europäische Union und Tunesien eine Absichtserklärung zur Bekämpfung illegaler Migration.

Konzeption

Die mit Zuwendungen des Bundesministeriums der Justiz finanzierten Projektaktivitäten zur Unterstützung der Rechtsreform in Tunesien, die die IRZ seit 2011 umsetzt, basieren nach wie vor auf der Anfang 2017 geschlossenen gemeinsamen Absichtserklärung über die rechtliche Zusammenarbeit zwischen dem Bundesministerium der Justiz und dem Justizministerium der Republik Tunesien. Die fachlichen Schwerpunkte dieser Vereinbarung liegen unter anderem beim Straf- und Strafprozessrecht, bei Themen des Strafvollzugs, beim Gerichtsaufbau und bei der Gerichtsorganisation, bei der Digitalisierung der Justiz und beim Aufbau einer Wirtschaftsgerichtsbarkeit ebenso wie bei der Korruptionsbekämpfung. Im Jahr 2023 behandelten die IRZ und ihre tunesischen Partnerinstitutionen schwerpunktmäßig die Themen „Privatrecht“ und „Schiedsgerichtsbarkeit“. Die Zusammenarbeit im Zivil- und Wirtschaftsrecht konzentrierte sich daneben auf die Vertiefung der Bereiche „Investitionsförderung und Investitionsschutz“ sowie „Immobilienrecht“.

Zusätzlich führte die IRZ auch im Rahmen der 2021 vom Auswärtigen Amt initiierten „Ta’ziz-Partnerschaft für Demokratie“ Projektaktivitäten zur Unterstützung der Reformprozesse im Bereich der Gesetzgebungstechnik und präventiven Strafpolitik in Tunesien durch.

Neben dem tunesischen Justizministerium ist auch die Generalstaatsanwaltschaft seit einigen Jahren Projektpartner der IRZ. Je nach Themenschwerpunkt sind zudem einzelne Fachbereiche der tunesischen Gerichtsbarkeit, die Anwaltskammer, der Hochschulbereich und das im Auftrag des Justizministeriums tätige Zentrum für juristische und justizielle Studien (CEJJ) wichtige Partner der Zusammenarbeit in Tunesien.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Workshop zu „Modernisierungen in der Schiedsgerichtsbarkeit“ in Zusammenarbeit mit der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit und der Bundesrechtsanwaltskammer in Tunis
  • Seminar zum Thema „Modernisierung des Grundbuchs und des Immobiliengerichts sowie zur Prozessoptimierung bei der Grundstücksregistrierung“ in Zusammenarbeit mit der Bundesnotarkammer (Hybrid- Veranstaltung)
  • Regionalkonferenz zum Thema „Optimierung des Investitionsklimas und Förderung von Investitionsanreizen und Investitionsschutz“ in Tunis in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer und den Justizministerien Algeriens, Marokkos und Mauretaniens (Hybrid-Veranstaltung)
  • Mitwirkung bei der internationalen Konferenz zum Internationalen Privatrecht in Tunis

Strafrecht und Strafvollzugsrecht

  • Seminar zum Thema „Das Recht auf Verteidigung – Rechtsmittel im Strafverfahren“ in Zusammenarbeit mit der Bundesrechtsanwaltskammer in Kairouan, Tunesien (Hybrid-Veranstaltung)
  • Fortbildung zum Thema „alternative Strafen und Alternativen zur Untersuchungshaft“ in Tunis
  • Mehrere Arbeitsgruppentreffen zweier Arbeitsgruppen zu den Themen „Methodologie zur Entwicklung einer präventiven Strafpolitik“ sowie„Straf- und Sanktionssystem in Tunesien“ zur Erarbeitung von Empfehlungen für die Reform des Strafrechts in Tunesien sowie ein Seminar zur Präsentation der daraus hervorgegangenen Arbeitsergebnisse
  • Studienreise zum Thema „Entwicklung einer präventiven Strafpolitik sowie Straf- und Sanktionssystem in Tunesien und Deutschland“ nach Berlin

Gesetzgebungstechnik

  • Mehrere Treffen zweier Arbeitsgruppen zu den Themen „Standardisierung des Gesetzgebungsprozesses in Tunesien“ sowie „Konformität und Harmonisierung von neuen und bestehenden Gesetzen mit den internationalen Normen für gute Gesetzgebung“ zur Erarbeitung von Leitfäden zu ihren jeweiligen Themenbereichen sowie ein Seminar zur Präsentation der daraus hervorgegangenen Arbeitsergebnisse
  • Studienreise zum Thema Gesetzgebung nach Berlin

Aus- und Fortbildung

  • Beratung sowie Workshops zur Konzeption der Wiedereinführung eines Fachabschlusses „Legistik“ an den juristischen Aus- und Fortbildungseinrichtungen in Tunesien mit Dozentinnen und Dozenten der Juristischen Fakultät der Universität in Tunis sowie Unterstützung bei der Wiedereinführung des Studiengangs an der virtuellen Universität Tunis
  • Mehrere Workshops zum Thema „Training of Trainers“ mit Lehrpersonal der juristischen Fakultäten aus den Bereichen „Gesetzgebung und Strafrecht“
  • Herausgabe des juristischen Fachmagazins „Ecrits“ mit Artikeln von Autorinnen und Autoren in arabischer und französischer Sprache zu aktuellen rechtspolitischen Fragestellungen
  • Blog für afrikanisches und deutsches Recht „IRZ Dialogue Juridique Afro-Allemand“ mit fortlaufenden Online-Publikationen in Form von Beiträgen von Autorinnen und Autoren in deutscher, arabischer und französischer Sprache zu aktuellen rechtspolitischen Themen aus den IRZ-Partnerstaaten Tunesien, Marokko, Algerien und Senegal sowie aus Deutschland

Ausblick

Ausgehend vom aktuellen Reformbedarf zielen die für 2024 vorgesehenen Aktivitäten der IRZ darauf ab, die Umsetzung der Rechts- und Justizreform in Tunesien weiterhin und im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu unterstützen. Wichtige Themen bleiben die Zusammenarbeit in den Bereichen der Modernisierung des Wirtschaftsrechts, des Zivil- und Strafrechts sowie der Korruptionsbekämpfung mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Auch der Schutz von vulnerablen Gruppen in der Justiz wird 2024 ein wichtiger Schwerpunkt bleiben. Tunesische Justizakteure wird die IRZ weiterhin in regionale Projektaktivitäten einbinden, sodass die regionale Stabilität und die Süd-Süd-Kooperation gefördert werden.