Albanien - Jahresbericht 2018
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- Veröffentlicht: Montag, 08. Juli 2019
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Im April 2018 empfahl die EU-Kommission, Beitrittsverhandlungen mit Albanien, das seit Mitte 2014 offiziell Beitrittskandidat der EU ist, aufzunehmen und so die Fortschritte, die in vielen Bereichen gemacht worden waren, zu würdigen. Derzeit beraten die EU-Mitgliedsstaaten darüber, ob und wann Beitrittsverhandlungen mit Albanien aufgenommen werden sollen. Der mögliche Beitritt Albaniens ist Teil der Westbalkan-Strategie der EU. So wurde unter anderem in der Erklärung von Sofia, die anlässlich des Gipfeltreffens EU-Westbalkan abgegeben wurde, betont, dass eine engere Anbindung der Region an die EU, verbunden mit einer Beitrittsperspektive zur weiteren Stabilisierung und Aussöhnung der Region beitragen und zu weiterem wirtschaftlichen Aufschwung führen wird. Insbesondere Albanien ist seit Jahren intensiv damit befasst, konsequent Reformen umzusetzen, die das Land näher an eine mögliche EU-Mitgliedschaft heranführen.
Die Zusammenarbeit sowohl im bilateralen Bereich als auch im Bereich der EU-Projekte in Albanien stand im Berichtsjahr unter dem Eindruck der sogenannten Vetting-Verfahren, also der umfassenden Überprüfung des Justizpersonals, insbesondere der Richterinnen und Richter sowie der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hinsichtlich ihrer fachlichen Eignung, ihrer finanziellen Verhältnisse und ihrer persönlichen Integrität. Nach einiger Verzögerung hat diese Überprüfung 2018 begonnen und zu Entlassungen von Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichts geführt. Einige Richterinnen und Richter hatten zudem ihr Amt vor der Überprüfung bereits niedergelegt. Die vakant gewordenen Richterstellen wurden noch nicht nachbesetzt, wodurch die Arbeit des Obersten Gerichts und des Verfassungsgerichts faktisch nicht mehr möglich ist.
Dadurch, dass im Zuge des Vetting-Verfahrens viele Stellen in der Justiz nachbesetzt werden müssen, rückt die Ausbildung von neuen Richterinnen und Richtern in den Fokus. Die für die Ausbildung des juristischen Nachwuchses verantwortliche Magistratenschule kann derzeit keine entsprechenden Ausbildungskapazitäten stellen, wodurch letztlich das Fortschreiten der Justizreform erschwert wird. Die Magistratenschule befindet sich daher in einem Reformprozess, sie muss schnellstmöglich die Ausbildungskapazitäten erhöhen. Diese entsprechenden Reformen sowie die Auswahl von Justiznachwuchs sorgten dabei im Berichtsjahr immer wieder für Kontroversen.
Konzeption
Die IRZ berät Albanien seit 2000 bei der Umsetzung der Rechts- und Justizreformen und der Konsolidierung rechtsstaatlicher Strukturen. Sie führt in diesem Zusammenhang Veranstaltungen in den Bereichen Justizorganisation, Gesetzgebung sowie Aus- und Fortbildung für Juristinnen und Juristen durch. Dies geschieht sowohl in direkter Kooperation mit Institutionen wie dem Verfassungsgericht, dem Obersten Gericht und der Magistratenschule als auch im Rahmen von EU-finanzierten Projekten. Oftmals wurden dabei bestimmte Teilbereiche, die durch diese nicht abgedeckt werden konnten, durch die bilaterale Zusammenarbeit aufgefangen oder weiter vertieft.
Zwar konnten vor dem oben genannten Hintergrund 2018 mit dem Obersten Gericht und dem Verfassungsgericht keine direkten Maßnahmen im bilateralen Bereich umgesetzt werden. Dennoch hat die IRZ das Thema Verfassungsbeschwerde, das bereits im Vorjahr einen Schwerpunkt der Zusammenarbeit gebildet hatte, mit anderen Partnern wie der Rechtsanwaltskammer fortsetzen können. Das Handbuch zur Verfassungsbeschwerde, das in deutsch-albanischer Co-Autorschaft entstand, wurde an alle Gerichte, Universitäten sowie an interessierte Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender verteilt. Inzwischen wurde eine zweite Auflage gedruckt. Ziel ist, das Instrument der Verfassungsbeschwerde sowohl in der Richterschaft als auch bei der Anwaltschaft mit Leben zu füllen und entsprechende Fortbildungsveranstaltungen dazu zu ermöglichen.
Die Richterentlassungen haben zudem zur Folge, dass neues Justizpersonal schnellstmöglich ausgebildet werden muss. Die für die Ausbildung verantwortliche Magistratenschule muss daher ihre Kapazitäten deutlich erhöhen und ihre Infrastruktur verbessern. Hier konnte die IRZ an ihre langjährige Zusammenarbeit mit der Magistratenschule anknüpfen und diese ausbauen, sowohl im bilateralen Bereich als auch im Rahmen der EURALIUS-Projekte IV und V. Im Hinblick auf die EU-Balkan-Strategie wurden in gemeinsamen Seminaren als Schwerpunkt europarechtliche Themen vermittelt.
Das Engagement der IRZ in Albanien ist durch die bilateralen Projekte und das EURALIUS-V-Projekt sehr intensiv und wird es angesichts der EU-Balkan-Strategie sicherlich in den kommenden Jahren bleiben.
Tätigkeitsschwerpunkte 2018
Verfassungsrecht / Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit
- Zwei Fortbildungen für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zum Thema Verfassungsbeschwerde in Zusammenarbeit mit der Rechtsanwaltskammer in Tirana
Zivil- und Wirtschaftsrecht
- Seminar „EU-Gesetzgebung zu Verbraucherrechten“ für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
- Seminar zum Thema „Rom II-Verordnung (das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht)“ in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
Öffentliches Recht
- Fortbildungsseminar „Grundlagen des Europarechts und Urteile des EUGH“ für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Tirana
Aus- und Fortbildung
- Seminar zur Beweiswürdigung im Gerichtsprozess für albanische Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Zusammenarbeit mit der Magistratenschule in Albanien
- Teilnahme zweier Juristinnen an der „IRZ-Sommerschule Deutsches Recht“ in Bonn
- Studienreise der Magistratenschule Albanien zu den Themen „Richteraus- und -fortbildung, Aufbau einer Akademie, Aufbau des Jurastudiums in Deutschland, E-Kommentar“ nach Trier und Mainz
Von der Europäischen Union finanzierte Projekte
EU-Grant: EURALIUS V „Consolidation of the Justice System in Albania“
Erfreulicherweise hat die IRZ in Federführung das EU-finanzierte EURALIUSV-Projekt gewonnen. Das Projekt führt das seit Herbst 2014 in Albanien durch die IRZ ebenso als Federführer erfolgreich umgesetzte EURALIUS-IVProjekt fort.
EURALIUS V hat ein Gesamtvolumen in Höhe von 7,5 Millionen Euro und eine 36-monatige Laufzeit, beginnend mit dem 1. April 2018. Konsortialpartner sind dieselben wie im Vorgängerprojekt, also das „Centre for International Legal Cooperation” (CILC/Niederlande) und die „Agency for Economic Development” (aed/Österreich). Neu hinzu kam der „Consiglio Superiore della Magistratura“ (CSM) aus Italien.
Seit dem 1. April 2018 nahm ein Team von rund 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verteilt auf mehrere Institutionen in Tirana sukzessiv die Projektarbeit auf. Im Einzelnen besteht das Team aus acht internationalen und zehn lokalen Langzeitexpertinnen und Langzeitexperten, zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Verwaltung sowie weiteren sogenannten Midterm-Expertinnen und -experten. Teamleiterin vor Ort ist abermals Dr. Agnes Bernhard aus Österreich.
Das Kick-off-Meeting des Projekts fand im Beisein von Christian Lange, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, am 13. Juni 2018 im Europa-House der EU-Delegation in Tirana statt.
Während im EURALIUS-IV-Projekt die gesetzlichen Grundlagen der laufenden Justizreform erarbeitet wurden, wird sich EURALIUS V nun intensiv auf die Gesamtkonsolidierung der Reformmaßnahmen konzentrieren.
Der ursprüngliche Zeitplan im Hinblick auf die Errichtung der im Zuge der Verfassungsänderungen geplanten neuen Justizverwaltungsbehörden konnte bisher wegen der gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht eingehalten werden. Der Beginn des EURALIUS-V-Projekts fällt mithin in eine sehr sensitive Phase. Denn die Errichtung neuer Institutionen sowie die Umsetzung geplanter Reformen wird maßgeblich mitbestimmt durch den Ausgang der derzeit parallel laufenden Vetting-Verfahren. Im Sommer 2019 wird über eine Eröffnung der EU-Beitrittsgespräche entschieden, was die Umsetzung der Reformen umso dringlicher werden lässt.
Ausblick
Die IRZ wird die bilaterale Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht und dem Obersten Gericht, sobald diese wieder arbeitsfähig sind, nach Möglichkeit 2019 fortsetzen.
Für das kommende Jahr hat die IRZ zudem eine deutliche Ausweitung der Aktivitäten mit der Magistratenschule zum Ziel. Geplant ist der Aufbau eines E-Kommentars, der allen Juristinnen und Juristen einen freien Zugang zu aktueller Rechtsprechung sowie Kommentaren zu Gesetzen ermöglichen wird. Zudem wird sich die IRZ im Rahmen von EURALIUS V intensiv in Albanien engagieren. Den Schwerpunkt von EURALIUS V bilden kapazitätsbildende Maßnahmen insbesondere für die neuen, aber auch für bestehende Justizinstitutionen.