Albanien – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Acht Jahre nachdem Albanien offiziell den Kandidatenstatus vom Rat der Europäischen Union zugesprochen bekommen hat, starteten Mitte 2022 die ersten Beitrittsverhandlungen. Seitdem durchläuft das Land ein Screening- Verfahren, in dem die EU-Kommission prüft, inwieweit das nationale Recht vom EU-Acquis abweicht und ob einzelne Verhandlungskapitel eröffnet werden können. Die Europäische Union legt bei zukünftigen Beitrittsverhandlungen verstärkt Wert auf Rechtsstaatlichkeit, weshalb der Prüfung

der Kapitel 23 (Justiz und Grundrechte) und Kapitel 24 (Recht, Freiheit und Sicherheit) eine besondere Bedeutung zukommt. Bei der „12. Tagung des Stabilitäts- und Assoziationsrats EU – Albanien“ würdigte die Europäische Union die positive Entwicklung Albaniens, die durch die kontinuierliche Umsetzung der weitreichenden Justizreform erzielt wurde, betonte aber zugleich die Notwendigkeit weiterer Reformschritte.

Eine umfassende Gerichtsreform führte unter anderem dazu, dass die bisherigen sechs regionalen Berufungsgerichte aufgelöst und durch ein überregionales Berufungsgericht in der Hauptstadt ersetzt wurden. Dieses ist allerdings aufgrund der großen Vakanzen in der Justiz insgesamt, die infolge des umfangreichen Vetting-Verfahrens zur Überprüfung der fachlichen Eignung, der Integrität und der Vermögensverhältnisse der Richterinnen und Richtern entstanden sind, nicht annähernd vollständig besetzt. Das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht sind nun wieder vollständig besetzt, die hohe Anzahl nicht abgeschlossener Verfahren wird seitdem kontinuierlich reduziert.

Im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses trafen sich Ende des Jahres in Tirana Vertreterinnen und Vertreter von sechs Westbalkanstaaten mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, um über die Beitrittsperspektive zu beraten. Die Europäische Union hingegen betonte, dass eine EU-Erweiterung bis 2030 im Fall der Umsetzung von weiteren Reformen innerhalb der Europäischen Union vorstellbar sei.

Konzeption

Die Projekte der IRZ in Albanien werden sowohl aus institutionellen Mitteln des Bundesministeriums der Justiz als auch aus Projektmitteln des Auswärtigen Amts und der Europäischen Union finanziert. Bei der Konzeption der Projekte berücksichtigt die IRZ die verschiedenen Finanzierungsarten und sorgt dafür, dass sich diese im Sinne der Nutzung von entstehenden Synergien und finanziellen Kapazitäten sinnvoll ergänzen. Auf diese Weise deckt die IRZ viele beitrittsrelevante Themen mit Schlüsselinstitutionen in der Justiz ab.

Die IRZ arbeitet seit Beginn der Zusammenarbeit in Albanien eng mit dem Obersten Gericht zusammen, so aktuell bei der Implementierung einer Dokumentationssoftware. Zugleich konnte die Zusammenarbeit mit dem Obersten Gericht und dem Verfassungsgericht Albaniens im Rahmen einer gemeinsam organisierten überregionalen Konferenz zur Zugang zur Justiz mit dem Obersten Gericht und dem Verfassungsgericht Kosovos verfestigt werden.

Im Rahmen einer Projektförderung des Auswärtigen Amts legte die IRZ auch einen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit der Sonderberufungskammer des Verfassungsgerichts in den für Albanien im Hinblick auf eine integre Justiz wichtigen Bereichen „richterliche Ethik“ und „Disziplinarverfahren gegen Richterinnen und Richter“.

Die Kooperation mit der Rechtsanwaltskammer im Bereich „Verfassungsbeschwerde“, die nach deutschem Vorbild in Albanien eingeführt wurde, konnte 2023 ebenso in einer weiteren Region Albaniens fortgesetzt werden.

Auch der Bereich „Fortbildung“, in dem die IRZ traditionell mit der Magistratenschule zusammenarbeitet und dem in Albanien im Hinblick auf den enormen Schulungsbedarf der Juristinnen und Juristen eine Schlüsselrolle zukommt, stand im Fokus der Tätigkeiten im Jahr 2023.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Seminar zum Thema „Verfassungsbeschwerde“ in Kooperation mit der albanischen Rechtsanwaltskammer in Saranda

Öffentliches Recht

  • Internationale Konferenz anlässlich des 110. Jubiläums des Obersten Gerichtshofs der Republik Albanien zum Thema „Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: von nationaler Identität zu universellen Werten“ in Tirana
  • Regionale Konferenz zum Thema „Zugang zur Justiz“ in Kooperation mit den Verfassungsgerichten und Obersten Gerichten Kosovos und Albaniens in Pristina
  • Studienreise für Richterinnen und Richter sowie Justiziarinnen und Justiziare der albanischen Sonderberufungskammer nach Karlsruhe, Stuttgart und Straßburg zum Thema „Richterliche Ethik und disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit von Richterinnen und Richtern“
  • Konferenz zum Thema „Richterliche Integrität, Ethik und Unabhängigkeit“ in Kooperation mit der albanischen Sonderberufungskammer in Tirana

Rechtspflege

  • Seminar zum Thema „Geldwäscheprävention und -bekämpfung in der Anwaltschaft“ in Kooperation mit der Bundesrechtsanwaltskammer und der albanischen Rechtsanwaltskammer in Tirana

Aus- und Fortbildung

  • Online durchgeführte Schulung zum Umgang mit einer Dokumentationssoftware in Kooperation mit der Dokumentationsabteilung des albanischen Obersten Gerichts
  • Seminar zum Thema „Cybercrime – Hetze im Internet“ in Kooperation mit der albanischen Magistratenschule in Tirana
  • Seminar zum Thema „Elektronische Beweismittel in Zivilverfahren“ in Kooperation mit der albanischen Magistratenschule in Tirana

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt EU-Grant-Projekt JUSTAL

Das Projekt „Support to the Implementation of the Crosscutting Justice Strategy“ (kurz: JUSTAL-Projekt) führt die seit 2014 von der IRZ – ebenfalls federführend – umgesetzte EU-Projekte EURALIUS IV und EURALIUS V zur umfassenden Justizreform thematisch fort. Es hat unter Federführung der IRZ kurz vor Eröffnung der Beitrittsgespräche in Tirana im Juli 2022 im

albanischen Justizministerium seine Arbeit aufgenommen. Juniorpartner der IRZ ist die Firma DAI Global, ein global agierendes Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in den USA und Dependancen in Wien, Brüssel und London.

Das JUSTAL-Projekt hat eine Laufzeit von zwei Jahren, verfügt über ein Projektbudget in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro und wird in der Form des „Service Contracts“ umgesetzt. Das Projektteam besteht aus drei erfahrenen internationalen Expertinnen und Experten, die bestens mit der Justizreform in Albanien vertraut und daher auch in der Lage sind, das albanische Justizministerium in der wichtigen Phase der EU-Beitrittsvorbereitungen kompetent und engmaschig zu begleiten. Flankiert werden sie durch ein Team von nationalen und internationalen Kurzzeitexperten, das im laufenden Projektbetrieb bedarfsorientiert zum Einsatz kommt.

Die Projektziele sind:

  • Stärkung der Koordinierungs- und Managementkapazitäten des Justizministeriums im Hinblick auf eine effektive Umsetzung der sogenannten „Crosscutting Justice Strategy“ (im Folgenden: „Justizstrategie“) samt dazugehörigem Aktionsplan.
  • Unterstützung der an der Umsetzung der Justizstrategie beteiligten Justizinstitutionen bei den Koordinierungsmechanismen im Zusammenhang mit der Justizstrategie, insbesondere im Hinblick auf das Zusammenstellen relevanter Daten und die Erfüllung von in der Justizstrategie vorgesehenen Berichtspflichten. Zusammenarbeit mit der Kodifizierungsabteilung des Justizministeriums zwecks Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Unterstützung bei den Arbeiten zur Harmonisierung der nationalen Gesetzgebung mit dem EU-Acquis im Hinblick auf Albaniens EU-Beitritt.
  • Stärkung der Kommunikationskapazitäten der Justizinstitutionen mit Blick auf die Umsetzung der Justizstrategie und deren Ergebnisse.

Das albanische Justizministerium hat das JUSTAL-Projekt zudem um Unterstützung bei der umfassenden Überarbeitung bzw. Neufassung des albanischen Zivilgesetzbuchs gebeten. Auch im Hinblick auf das im Rahmen der EU-Beitrittsmaßnahmen erforderliche Screening-Verfahren wird das Projektteam in Abstimmung mit der EU-Delegation über den

Projektvertrag hinausgehend maßgebliche Beratungsleistungen erbringen. Diese werden sich im Wesentlichen auf die Erstellung der komplexen Konkordanztabellen konzentrieren, die das nationale albanische Recht dem EU-Recht gegenüberstellen und Brüssel ein laufendes Monitoring über die EU-Rechtsangleichung ermöglichen.

Das Justizministerium ist die hauptbegünstigte Institution des JUSTAL-Projekts. Ihm kommt bei der Umsetzung der Inhalte dieser Justizstrategie sowie bei der Koordination der an dem komplexen mehrstufigen Umsetzungsprozess beteiligten unabhängigen Justizinstitutionen die federführende Koordinatorenrolle zu.

Ausblick

Auch 2024 wird die IRZ Rechts- und Justizreformen und die Konsolidierung rechtsstaatlicher Strukturen in Albanien sowohl bilateral als auch durch das oben genannte JUSTAL-Projekt aktiv unterstützen. Für das kommende Jahr plant die IRZ außerdem einen thematischen Schwerpunkt im Bereich Zugang zur Justiz im Allgemeinen und für vulnerable Gruppen im Besonderen zu setzen und wird auch ein Augenmerk auf eine stärkere Nutzung des Instruments der Verfassungsbeschwerde richten.