Bosnien und Herzegowina – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Bosnien und Herzegowina, das kriegsbedingt verspätet mit der Transformation seines Rechtssystems begonnen hatte, erhielt im Dezember 2022 den EU-Beitrittskandidatenstatus. Die schwierige Regierungsbildung nach den Wahlen im Oktober 2022 ist mittlerweile abgeschlossen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte im August 2023 das ethnisch geprägte Wahlsystem, das auf den im Friedensabkommen von Dayton angelegten Staatsaufbau zurückgeht, erneut für diskriminierend. Die Entität Republika Srpska erkennt die Entscheidungen des Staatsverfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina und des Hohen Repräsentanten Schmitt nicht mehr an. Die Zusammenarbeit mit der Republika Srpska ist weiterhin suspendiert.

Konzeption

Aufgrund der geschilderten Situation setzt die IRZ den Schwerpunkt ihrer Projektarbeit auf die Aus- und Weiterbildung von Juristinnen und Juristen. Dabei unterstützt die IRZ Veranstaltungen zum Zivil- und Wirtschaftsrecht an dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie an den juristischen Fakultäten der Universitäten Sarajevo, Mostar und Zenica. Sie arbeitet zudem eng mit dem Verfassungsgericht des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina und mit der Legal-Aid-Organisation Vaša Prava zusammen. Im Rahmen ihrer mit Mitteln des Bundesministeriums der Justiz und des Auswärtigen Amts geförderten Aktivitäten schafft die IRZ bewusst auch Möglichkeiten einer Begegnung für Angehörige verschiedener Volksgruppen, um so ethnischen Spannungen entgegenzuwirken. Eingebettet in ein neu begonnenes EU-Projekt unterstützt die IRZ zusätzlich den „Hohen Rat der Richter- und Staatsanwaltschaft“.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Seminar zum Thema „Gleichheit und Gleichberechtigung von Frauen in Bosnien und Herzegowina hinsichtlich der Wahrnehmung von Rechten und des Zugangs zur Justiz“, gemeinsam veranstaltet mit der Legal-Aid-Organisation Vaša Prava
  • Teilnahme des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina an der regionalen Verfassungsgerichtskonferenz zum Thema „Schutz des Rechts auf Privatsphäre“, gemeinsam veranstaltet mit dem Verfassungsgericht von Montenegro
  • Teilnahme des Verfassungsgerichts von Bosnien und Herzegowina an der Abschlusskonferenz des Projekts „Propagierung der Verfassungsbeschwerde als wichtigstes Mittel zum Grundrechtsschutz in Nordmazedonien“, gemeinsam veranstaltet mit dem Verfassungsgericht von Nordmazedonien

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Internationale Konferenz „Tage des Familienrechts“, gemeinsam veranstaltet mit der Juristischen Fakultät der Universität „Džemal Bijedić“ in Mostar

Rechtspflege

  • Konferenz mit der Bundesnotarkammer und der Notarkammer der Föderation Bosnien und Herzegowina zum Thema „Die Rolle des Notariats bei der Verhinderung von Geldwäsche und bei der Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung – Zusammenarbeit mit anderen relevanten Akteuren“
  • Gastvortrag an der Rechtsfakultät Sarajevo: „Juristische Ausbildung in Deutschland – theoretische Grundlagen und Praxis“
  • Gastvortrag an der juristischen Fakultät der Universität Džemal Bijedić in Mostar zum Thema „Gleichberechtigung der Geschlechter nach der EMRK“
  • Popularisierung des deutschen Rechts: Workshop zur Unterstützung und Vernetzung von auf dem Gebiet des deutschen Rechts tätigen Institutionen und Einzelpersonen in Bosnien und Herzegowina sowie in der Region, einschließlich der Zurverfügungstellung von Literatur und Online-Lizenzen

Aus- und Fortbildung

  • Seminare mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina zu folgenden Themen:
    • Europäische Konvention und Gleichberechtigung der Geschlechter
    • Ethik und Integrität
    • Gerichtlicher Vergleich
    • Das Verhältnis zwischen Europarecht und dem nationalen Recht von Bosnien und Herzegowina
    • Train-the-Trainer: Didaktik einer praxisorientierten Weiterbildung von Juristinnen und Juristen
  • Mitwirkung von Teilnehmenden aus Bosnien und Herzegowina am regionalen Jahresworkshop der deutschsprechenden IRZ-Alumni zum Thema „Aktuelles aus dem deutschen Recht“ (gesponsort durch den Verlag C.H.BECK, München) und am regionalen Kurs zur deutschen Rechtsterminologie

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt

EU-Grant-Projekt „EU4Justice“ zur Umsetzung der laufenden Justizreform sowie zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und Korruption

Seit Dezember 2022 führt die IRZ als Partner eines Konsortiums mit Expertise France als Federführer und der in Spanien ansässigen FIIAPP als weiterem Partner das EU-finanzierte Projekt „EU4Justice Phase II – Support to Judicial Professionalism and the Fight against Organised Crime and Corruption in Bosnia and Herzegovina“ durch. Das Projektvolumen beträgt 4,5 Millionen Euro bei einer Laufzeit von drei Jahren. Die IRZ begleitet mit einer bzw. einem der drei internationalen vor Ort tätigen Langzeitexpertinnen und Langzeitexperten die Komponente III: „Organisierte Kriminalität und Antikorruption“. Das EU4Justice-Projekt ist für die IRZ das erste EU-Projekt in Bosnien und Herzegowina.

Im Hinblick auf den EU-Beitritt Bosniens und Herzegowinas identifizierte die Europäische Union 14 Schlüsselprioritäten für Reformen, deren Erfüllung laufend überprüft wird und die die Voraussetzung für die positive Empfehlung zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen darstellen. Im Mittelpunkt stehen hierbei die Funktionsfähigkeit des Staates, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, verstärkte Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption, verbesserte Migrationssteuerung, Stärkung der Grundrechte sowie Reformen der öffentlichen Verwaltung. Innerhalb dieser 14 Schlüsselprioritäten bilden jene zur „Rule of Law“ einen Schwerpunkt und weisen somit auch im Rahmen der Projektimplementierung des EU4Justice-Projekts hohe Relevanz auf.

Vor diesem Hintergrund ist das übergeordnete Ziel des Projekts die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Bosnien und Herzegowina und die Angleichung an den EU-Acquis insbesondere mit Blick auf eine Verbesserung der Unabhängigkeit, der Qualität, der Rechenschaftspflicht und Effizienz des Justizsektors sowie eine effektivere Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Korruption.

Konkret ist das Projekt mandatiert, den Hohen Rat der Richter- und Staatsanwaltschaft (High Judicial and Prosecutorial Council, im Folgenden HJPC) als im Zentrum des Projekts stehende hauptbegünstigte Institution zu beraten. Als einzige justizielle Selbstverwaltungseinrichtung der bosnischen Justiz deckt der HJPC die gesamte, in vier Jurisdiktionen (Gesamtstaat „Bosnien und Herzegowina“, die sog. Entitäten „Föderation Bosnien und Herzegowina“ und der „Republika Srpska“ sowie das „Distrikt Brcko“) aufgeteilte bosnische Justizstruktur ab. Laut seinem Mandat soll der HJPC die Justiz vor politischer Einflussnahme schützen, das ordnungsgemäße Funktionieren aller vier Justizsysteme garantieren und Justizreformbestrebungen steuern. Zudem ist der HJPC zuständig für die Auswahl, Benennung und Beförderung aller Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte der vier Justizsysteme, setzt sämtliche Disziplinarmaßnahmen um und beschäftigt sich mit Ethik- und Integritätsfragen des Justizpersonals. Die Verordnungen des HJPC finden in allen vier Justizsystemen Anwendung, um eine konsistente und kohärente Umsetzung der Justizpolitik sicherzustellen.

Neben dem HJPC sind weitere projektrelevante (indirekte) Begünstigte:

  • alle Gerichte und Staatsanwaltschaften
  • alle Parlamente und Justizministerien sowie die Justizkommission des Brčko-Distrikts
  • Trainingszentren und Berufsverbände der Richter- und Staatsanwaltschaft
  • juristische Fakultäten
  • die Agentur für Korruptionsprävention und Koordinierung der Korruptionsbekämpfung (APIK) und alle anderen Korruptionsbekämpfungsorgane
  • Vermögensverwaltungsagenturen

Das Projekt gliedert sich in vier Komponenten auf, die im Laufe der dreijährigen Projektlaufzeit mit folgenden ausgewählten Projektmaßnahmen umgesetzt werden sollen:

  • Komponente I: Stärkung der Integritätskapazitäten des HJPC
  • Komponente II: Stärkung der Kapazitäten des HJPC und seiner Organe in Bereichen, die für die Ausübung der Kernkompetenzen des HJPC relevant sind
  • Komponente III: Unterstützung der Koordinierung und Zusammenarbeit innerhalb der Strafverfolgungskette bei der Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Durchführung von Korruptionsverfahren
  • Komponente IV: Einrichtung eines umfassenden und effizienten Monitoring-Mechanismus für den Justizsektor

Ausblick

Die IRZ wird 2024 ihre Projektarbeit in Bosnien und Herzegowina in enger Abstimmung mit ihren Partnerinstitutionen fortsetzen und vertiefen. Bis zum Ende des gegenwärtigen Reformstaus in der Gesetzgebung werden dabei die Fortführung der Zusammenarbeit mit dem Verfassungsgericht des Gesamtstaats, mit dem Edukationszentrum der Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina, der Juristischen Fakultät Sarajevo und der Nichtregierungsorganisation Vaša Prava sowie im Rahmen des EU4Justice-Projekts mit dem HJPC im Mittelpunkt stehen.