Online-Fachgespräch zum Verbraucherschutz während der Corona-Pandemie
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- Veröffentlicht: Mittwoch, 15. Juli 2020
Wie die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern auch während der Corona-Pandemie geschützt werden können und welche Regularien beim Ausbau der Verbraucherschutzgesetzgebung sinnvoll oder hinderlich sein können, war Thema eines Online-Fachgesprächs mit Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützern aus Deutschland und Tunesien am 10. Juli 2020. Als Expertin und Experten nahmen teil:
- Ronny Jahn, Leiter Team Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (VZBV)
- Dr. Dorothee Weckerling-Wilhelm, Leiterin Referat V B 5 – Verbraucherinformation, Lebensmittelrecht, Bedarfsgegenstände, Produktsicherheit, im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
- Akrem Barouni, Rechtsberater und Vize-Präsident der tunesischen Verbraucherschutzvereinigung (Organisation de Défense du Consommateur/ODC)
Die Zusammenarbeit der IRZ mit Tunesien im Rahmen der institutionellen Zuwendung ist im gemeinsamen Arbeitsprogramm für den Zeitraum 2019 bis 2020 zwischen dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und dem tunesischen Justizministerium festgelegt. Bestandteil dieser Kooperation ist auch der Verbraucherschutz. Hier wird IRZ die Festigung institutionalisierten Verbraucherschutzes in Tunesien unterstützen und die bestehende Kooperation verstetigen.
Zur Situation
Der Verbraucherschutz sowie die Ausgewogenheit von Angebot und Nachfrage von Produkten des täglichen Bedarfs wurde in den letzten Monaten in Europa und Nordafrika auf die Probe gestellt. Es wurde einmal mehr deutlich, wie international verzahnt Handel, Güter- und Warenverkehr sowie das Angebot von Dienstleistungen sind und wie sich dies auf das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger auswirkt.
Die Organisation des Verbraucherschutzes ist in Deutschland und Tunesien sehr unterschiedlich. In Tunesien sind die Verbraucherschutzinstitutionen dezentral organisiert. Deren Verbände und Vereinigungen werden zum Teil auch nicht staatlich finanziert. Außerdem wurde das tunesische Verbraucherschutzgesetz seit seinem Inkrafttreten 1992 nicht mehr reformiert, obwohl seitdem z.B. der Online-Handel hinzugekommen ist und Tunesien seit 2014 auch eine neue, progressivere Verfassung hat.
Sowohl in Tunesien als auch in Deutschland hatte sich durch die Corona-Einschränkungen im März und April 2020 eine exponentiell hohe Nachfrage bestimmter Waren des täglichen Bedarfs ergeben. Gleichzeitig nahm der unlautere Wettbewerb beim Verkauf dieser Waren vor allem im Online-Handel zu und es kam zu einem starken Anstieg der Betrugsfälle in diesem Zusammenhang.
Das Expertengespräch
Vor diesem Hintergrund befasste sich das Online-Expertengespräch mit den Herausforderungen, die der Staat zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu bewältigen hatte und hat. Die Expertin und die Experten thematisierten mögliche Verbesserungen hinsichtlich der Gesetzgebung und des Krisenmanagements während der ersten Hochphase der Pandemie.
Sie waren sich einig, dass sich die Herausforderungen in Deutschland und Tunesien ähnelten. In der ersten Phase des sogenannten „Lockdowns“ habe es in beiden Ländern eine „Übernachfrage“ für bestimmte haltbare Lebensmittel (Nudeln und Mehl) und Hygieneartikel (Masken, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier) gegeben. Sowohl in Deutschland als auch in Tunesien seien in diesem Zusammenhang mehr Diebstähle und Wucher verzeichnet worden. In Deutschland habe die Verbraucherzentrale deshalb Unternehmen und Personen wegen unlauteren Wettbewerbs abgemahnt, während in Tunesien solche Fälle sogar strafverfolgt worden seien.
Während des Gesprächs stellten die Expertin und die Experten klar, dass es sich bei der nicht ausreichenden Verfügbarkeit an Waren nicht etwa, wie oft beschrieben, um Liefer- oder Versorgungsengpässe gehandelt habe. Vielmehr hätten Verbraucherinnen und Verbraucher entgegen ihrer üblichen Gewohnheit Produkte im Übermaß „gehamstert“, so dass Supermärkte sogar die Anzahl eines Produkts beim Kauf beschränkt hätten, um die Versorgung möglichst aller zu gewährleisten.
Durch die Absage von Reisen oder anderen Freizeitangeboten sei es in Deutschland in einer zweiten Phase zu vielen Rückforderungen von Verbraucherinnen und Verbrauchern gekommen, die Reise- und Flugunternehmen, Konzertveranstalter oder andere Freizeitunternehmen nicht immer finanziell hätten leisten können. In diesem Zusammenhang führte Dr. Weckerling-Wilhelm aus, wie das EU-Recht und die Richtlinie zum Verbraucherschutz durch den Anspruch auf Rückerstattung die Verbraucherinnen und Verbraucher schütze, aber in der aktuellen Krisensituation einzelne Unternehmen an die Grenzen ihrer Liquidität führe. Die Expertin wies darauf hin, dass der Verbraucherschutz auch erst seit den 1970er Jahren im deutschen Zivilrecht präsent sei und das Ziel des Verbraucherschutzes immer der Schutz vor systemischem Ungleichgewicht sei. Im Rahmen der Krise sei jedoch deutlich geworden, dass dieses Ungleichgewicht zwischen Verbraucherinnen und Verbrauchern und „übermächtigen“ Unternehmen wie etwa der Lufthansa oder VW nicht mehr gegeben sei. Die EU- Richtlinie stelle zudem ein zusätzliches Rechtsregime dar, das den Verbraucherschutz in Deutschland im Vergleich zu Tunesien stärke.
Der Vertreter der tunesischen Verbraucherschutzvereinigung, Akrem Barouni, interessierte sich besonders für die Finanzierung der deutschen Verbraucherschutzinstitutionen und machte dabei deutlich, dass eine staatliche finanzielle Förderung und eine Abkehr von Verbraucherschutztätigkeiten als ehrenamtliche Tätigkeit in Tunesien sinnvoll wären. Die meisten Mitglieder der tunesischen Verbraucherschutzverbände, führte Akrem Barouni aus, gehen hauptamtlich anderen Berufen nach. Dadurch hätten die tunesischen Verbraucherinnen und Verbraucher weniger Anlaufstellen und weniger Ansprechpersonen, die ihnen Recht verschaffen und Ansprüche durchsetzen könnten. Dies erkläre, wieso sich der unlautere Wettbewerb mit seinen tendenziell mafiösen Strukturen in Tunesien durchsetzen könne und warum er schwer zu kontrollieren sei. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Fachgesprächs waren sich darüber einig, dass eine reformierte und zudem zeitgemäße Gesetzgebung, die auch den Online-Handel stärker reguliert, Abhilfe schaffen könnte.