Ukraine - Jahresbericht 2019

Valentina Danishevska, Präsidentin des Obersten Gericht der Ukraine und Christian Schmitz-Justen, Vizepräsident des Oberlandesgerichts Köln, Projektleiter, während der Abschlussveranstaltung in Kiew (Foto: Oberstes Gericht der Ukraine)
Valentina Danishevska, Präsidentin des Obersten Gericht der Ukraine und Christian Schmitz-Justen, Vizepräsident des Oberlandesgerichts Köln, Projektleiter, während der Abschlussveranstaltung in Kiew (Foto: Oberstes Gericht der Ukraine)

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Das Berichtsjahr stand ganz im Zeichen der ukrainischen Präsidentschaftsund Parlamentswahlen. Aus der Stichwahl der Präsidentschaftswahlen am 21. April 2019 ging Wolodymyr Selenskyj als Sieger hervor. Bei den zunächst für Oktober geplanten vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli erzielte die neu gegründete Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ die absolute Mehrheit. Zu den wichtigsten Zielen seiner Amtszeit erklärte der Präsident neben angestrebten Fortschritten im Konflikt um die Ostukraine auch die Korruptionsbekämpfung. Den Weg der europäischen Integration will er weiter beschreiten. Die von seinem Amtsvorgänger zur Reform der Verfassung gegründete Verfassungskommission löste Selenskyj auf und gründete einen Rechtsreformausschuss mit mehreren auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Arbeitsgruppen. Die neu zusammengesetzte Verhovna Rada hat in raschem Tempo zahlreiche Gesetzesvorhaben eingebracht und viele davon auch schon verabschiedet, so z.B. zur Abschaffung der Abgeordnetenimmunität oder auch zur erneuten Reform des 2016 verabschiedeten neuen Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Das Plenum des Obersten Gerichts, das erst 2017 neu gegründet worden war, und dessen Richterzahl mit diesem Änderungsgesetz zum GVG halbiert werden soll, hat dieses Gesetz dem Verfassungsgericht der Ukraine vorgelegt.

Konzeption

Auch 2019 wurde die Zusammenarbeit mit der Ukraine zum einen aus den Mitteln des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, zum anderen durch das im August 2018 gestartete, vom Auswärtigen Amt finanzierte Projekt „Stärkung von Verfassungsgerichtsbarkeit und Justiz/ Rechtspflege in der Ukraine“ finanziert. Schwerpunkte der Zusammenarbeit waren die Kooperation mit dem Verfassungsgericht vor dem Hintergrund der erst 2016 eingeführten Verfassungsbeschwerde, mit dem Obersten Gericht und weiterhin mit der für den Rechtsstaat besonders wichtigen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Justiz insgesamt wurde durch gemeinsam mit der Richterassoziation der Ukraine durchgeführte Richterfortbildungen sowie auch im Rahmen des seit 2016 gepflegten fachlichen Austauschs zwischen dem Berufungsgericht Kiew und dem Oberlandesgericht Oldenburg unterstützt. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz soll zukünftig vertieft werden.

Am 22. Februar 2019 wurde ein neues Arbeitsprogramm zur bereits im März 2017 unterzeichneten Gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz mit dem Justizministerium der Ukraine vereinbart. In diesem Rahmen fanden ein Arbeitsbesuch zum Strafvollzug/offenen Vollzug sowie – im wichtigen Bereich der Korruptionsbekämpfung – ein Arbeitsbesuch zum Thema verdeckte Ermittlungen statt.

In Kiew organisierte die IRZ Fachgespräche zur Mediation im Zusammenhang mit dem „Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ (HKÜ) sowie weitere Fachgespräche zum Haager Unterhaltsübereinkommen (HUÜ).

Auch die Zusammenarbeit zur Reform des Notarrechts nahm die IRZ mit ihren ukrainischen Partnern wieder auf. Bereits in früheren Jahren hatte die IRZ diese hierzu intensiv beraten.

Mit dem zehnten Durchlauf des deutschsprachigen Begleitstudiums zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Iwan-Franko-Universität in Lwiw konnte im Berichtsjahr ein kleines Jubiläum gefeiert werden. Dieser Förderung des juristischen Nachwuchses will sich die IRZ auch in Zukunft weiter widmen.

Tätigkeitsschwerpunkte 2019

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Mehrere Fachgespräche mit Richtern des ukrainischen Verfassungsgerichts sowie wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsgerichts in Bonn und Kiew
  • Arbeitsbesuch wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsgerichts beim Bundesverfassungsgericht, beim Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht sowie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Trilateraler Arbeitsbesuch zum Verbraucherschutz in Berlin (für Ukraine, Belarus, Moldau)
  • Fachgespräche beim ukrainischen Justizministerium zum Thema „Mediation im Zusammenhang mit dem ‚Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung‘ (HKÜ)“ sowie zum Haager Unterhaltsübereinkommen (HUÜ) in Kiew

Öffentliches Recht

  • Regionale Verwaltungsrichterfortbildung zum Verwaltungsprozessrecht in Kramatorsk (am dorthin verlegten Berufungsverwaltungsgericht Donezk) sowie mehrere Fachtagungen mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts in Kiew
  • Fünfzehntes deutsch-ukrainisches verwaltungsprozessrechtliches Kolloquium beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz

Rechtspflege

  • Fachgespräche zum Zivil- und Strafprozess mit dem ukrainischen Obersten Gericht in Kiew und Bonn
  • Gegenseitige Arbeitsbesuche mit Fachgesprächen von Vertreterinnen und Vertretern des Oberlandesgerichts Oldenburg und des Berufungsgerichts Kiew
  • Richterfortbildung mit der Richterassoziation der Ukraine zum Thema Gerichtsmediation in Lwiw
  • Arbeitstagung zur Textarbeit am ukrainischen Mediationsgesetzentwurf in Wustrau und Berlin sowie Fortbildung ukrainischer Mediatorinnen in Berlin
  • Mitwirkung eines deutschen Experten bei einer Fachtagung des Razumkow-Zentrums zur Problematik der Nichtvollstreckung gerichtlicher Urteile in Kiew
  • Deutsch-ukrainische Fachgespräche zum Notarrecht in Berlin und Kiew

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Arbeitsbesuch des Qualifikations- und Disziplinarausschusses der Staatsanwaltschaft der Ukraine zum staatsanwaltlichen Berufsrecht in Aurich
  • Arbeitsbesuch des Justizministeriums der Ukraine zum Strafvollzug (Schwerpunkt offener Vollzug) in Berlin
  • Arbeitsbesuch einer Delegation der Richterassoziation der Ukraine zum Thema Ermittlungsrichter in Bonn
  • Fachgespräche zum Anwaltsrecht (Schwerpunkt Strafverteidigung) mit der ukrainischen Rechtsanwaltschaft in Odessa
  • Arbeitsbesuch einer Delegation der ukrainischen Fachstaatsanwaltschaft zur Korruptionsbekämpfung in Berlin

Aus- und Fortbildung

  • Begleitstudium zur Einführung in das deutsche Recht an der Nationalen Iwan-Franko-Universität in Lwiw (zehnter Durchlauf)
  • Forschungsaufenthalt für den besten Absolventen dieses IRZ-Begleitstudiums an der Universität Lwiw in München (verschoben auf 2020)

Von der EU finanziertes Projekt

EU-Twinning-Projekt: Strengthening the institutional capacity of the Supreme Court of Ukraine in the field of human rights protection at the national level

Die Durchführung dieses EU-Twinning-Projekts durch die IRZ und das lettische Justizministerium als Juniorpartner endete nach einer Laufzeit von 28 Monaten im Juli 2019. Das mit einem Budget von rund 1,3 Mio. Euro ausgestattete Projekt diente der Unterstützung des 2017 neu als Revisionsgericht aufgebauten Obersten Gerichts bei der Annäherung an europäische Standards. Es bestand im Wesentlichen aus folgenden Komponenten:

  • Erarbeitung von Vorschlägen zur Verbesserung des Revisionsrechts in der Ukraine
  • Training der neu ernannten Richterinnen und Richter
  • Verbesserung der Arbeitsprozesse der Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts
  • Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen über die Rechtsprechung

In diesem Jahr konnten die Projektverantwortlichen die geplante Unterstützung zu allen drei Komponenten durch weitere Workshops, Seminare und Trainings der Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Obersten Gerichts vertiefen und erfolgreich abschließen.

Hochrangige Expertinnen und Experten aus Deutschland, den Niederlanden und Österreich erstellten gemeinsam mit den ukrainischen Richterinnen und Richtern des Obersten Gerichts sowie Vertreterinnen und Vertretern des ukrainischen Justizministeriums, der Staatsanwaltschaft, der Anwaltschaft und weiterer involvierter Institutionen Vorschläge zur Verbesserung des Revisionsrechts in der Ukraine, die zum Abschluss des Projekts vorgestellt wurden.

Darüber hinaus erhielten die ukrainischen Richterinnen und Richter in zwei Studienreisen nach Deutschland, den Niederlanden und Österreich Einblicke in die praktische Arbeit der Obersten Gerichte sowie in die Medienarbeit der Justiz. Während der Abschlusskonferenz des Projekts am 21. Juni in Kiew betonte die Präsidentin des Obersten Gerichts der Ukraine, Valentina Danishevska, die besondere Bedeutung des Projekts in einer Zeit der Reform des Obersten Gerichts.

Ausblick

Je nach Möglichkeit sowie nach Bedarf der ukrainischen Partner wird die IRZ die von der Verhovna Rada und der neuen Regierung angestrebten Reformvorhaben in Orientierung an europäischen rechtsstaatlichen Standards unterstützen. Auch bei der Reform der Staatsanwaltschaft plant die IRZ durch gezielte Fortbildungen mitzuwirken. Die Bemühungen der Ukraine um die Korruptionsbekämpfung werden ebenfalls weiterhin unterstützt, dies auch im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des ukrainischen Justizministeriums, deren Arbeitsprogramm die IRZ in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz weiter umsetzen wird.

Die Zusammenarbeit mit ihren wesentlichen Partnern sowie die seit inzwischen zehn Jahren gepflegte juristische Nachwuchsförderung durch das deutschsprachige IRZ-Begleitstudium zum deutschen Recht an der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw wird die IRZ in Zukunft fortsetzen.