Ukraine – Jahresbericht 2022

Ukrainische Teilnehmende bei dem deutsch-ukrainischen verfassungsrechtlichen Online-Fachgespräch am 3. und 4. November 2022; Professor Serhiy Holovaty, amtierender Präsident des Verfassungsgerichts der Ukraine (4. v. links; Foto: Verfassungsgericht der Ukraine).
Ukrainische Teilnehmende bei dem deutsch-ukrainischen verfassungsrechtlichen Online-Fachgespräch am 3. und 4. November 2022; Professor Serhiy Holovaty, amtierender Präsident des Verfassungsgerichts der Ukraine (4. v. links; Foto: Verfassungsgericht der Ukraine).

Strategische Rahmenbedingungen

Das Schicksal der Ukraine hat sich seit dem 24. Februar 2022 mit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg dramatisch verändert. Schon bald nach Kriegsbeginn meldeten sich die ersten ukrainischen Partnerinstitutionen bei der IRZ mit der Bitte, die bewährte Zusammenarbeit fortzuführen. So konnten auch im Berichtsjahr trotz schwieriger Rahmenbedingungen zahlreiche Beratungsmaßnahmen durchgeführt werden.

Rechtspolitische Ausgangslage

Wenige Tage nach Kriegsbeginn, am 28. Februar 2022, reichte die Ukraine ihr EU-Beitrittsgesuch beim Europäischen Rat ein, der ihr am 23. Juni 2022 den EU-Beitrittskandidatenstatus verlieh. Wichtige Schritte werden im Zuge der anstehenden EU-Rechtsharmonisierung unter anderem die Reformierung des Auswahlverfahrens für Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter sowie die weitere Reformierung des Höchsten Rates der Rechtsprechung und des Höchsten Richterqualifikationsausschusses sein. Letztere ist besonders dringlich, damit die Besetzung der über 2.500 ­vakanten Richterstellen fortgeführt werden kann.

Ein zentrales Moment der Reformen wird auch weiterhin in der Korruptionsbekämpfung liegen. Nach langer Vakanz ist die Ernennung des neuen Direktors der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft im Berichtsjahr erfolgt, die Ernennung einer neuen Leitung des Nationalen Antikorruptionsbüros folgte im März 2023. Mitte Juni 2022 unterzeichnete der Präsident das lange erwartete Verwaltungsverfahrensgesetz der Ukraine, das am 17. Februar 2022 verabschiedet worden war und am 15. Dezember 2023 in Kraft treten wird. Die Reform des Zivilgesetzbuchs der Ukraine wurde trotz des Kriegs kontinuierlich weitergeführt.

Konzeption

Die im Berichtsjahr ausschließlich aus den Zuwendungen des Bundesministeriums der Justiz finanzierten Beratungen führte die IRZ dank erprobter virtueller Formate auch trotz des Kriegs fort. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die Fachgespräche zur Reform des Zivilgesetzbuchs der Ukraine mit der Arbeitsgruppe des Parlaments. Nach wie vor intensiv ist der fachliche Austausch mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, dies nun auch im Zusammenhang mit Beratungen zur Implementierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes, das auch für die Korruptionsbekämpfung eine wichtige Rolle spielt. Einen Tag vor Kriegsbeginn konnte die IRZ erstmals eine Fortbildungsmaßnahme für Richterinnen und Richter des Hohen Antikorruptionsgerichts durchführen.

Gegen Ende des Berichtsjahrs wurde durch Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und den ukrainischen Minister der Justiz Denis Malyuska ein aktualisiertes Arbeitsprogramm zur Gemeinsamen Erklärung des Bundesministeriums der Justiz und des Justizministeriums der Ukraine unterzeichnet, das unter anderem eine Zusammenarbeit zur EU-Rechtsharmonisierung vorsieht.

Auch die Gerichtspartnerschaften zwischen dem Berufungsgericht Kiew und dem Oberlandesgericht Oldenburg sowie zwischen dem Berufungsverwaltungsgericht Lviv und dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg setzte die IRZ fort.

Tätigkeitsschwerpunkte 2022

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Mitwirkung bei der Fachkonferenz des Verfassungsgerichts der Ukraine zu dessen Rolle auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine
  • Online-Fachgespräch mit dem Verfassungsgericht der Ukraine unter anderem zur Vollstreckung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen und zum Auswahlverfahren von Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichtern

Zivil- und Wirtschaftsrecht

  • Begutachtung der Konzeption der Reform des Zivilgesetzbuchs der Ukraine
  • Online-Rundtischgespräch I zur Reform des Zivilgesetzbuchs der ­Ukraine (Gegenstände des Zivilrechts)
  • Online-Rundtischgespräch II zur Reform des Zivilgesetzbuchs der ­Ukraine (Juristische Personen)
  • Online-Rundtischgespräch III zur Reform des Zivilgesetzbuchs der ­Ukraine (Rechtsgeschäfte und Verträge)

Öffentliches Recht

  • Mitwirkung bei den „V. Tagen der ukrainischen Verwaltungsgerichts­barkeit“ mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts (zu steuerrechtlichen Streitigkeiten)
  • Online-Fachgespräch mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts zum Thema „Verwaltungsgerichtsbarkeit unter besonderen Bedingungen wie Krieg oder Pandemie“
  • Mitwirkung an Online-Konferenz mit dem Revisionsverwaltungsgericht des Obersten Gerichts zum Thema „Die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit beim Grundrechtsschutz unter Kriegsbedingungen“
  • Mitwirkung an zwei Hybrid-Fortbildungen für ukrainische Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter zur Implementierung des Verwaltungsverfahrensgesetzes der Ukraine in Lviv und Vinnytsa
  • Online-Fachgespräch des Berufungsverwaltungsgerichts Lviv mit dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht

Rechtspflege

  • Teilnahme des Präsidenten des Berufungsgerichts Kiew an der „VII. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte der Europäischen Union“ in Innsbruck
  • Online-Fachgespräch des Berufungsgerichts Kiew mit dem Oberlandesgericht Oldenburg
  • Mitwirkung an Online-Konferenz der Nationalen Richterschule der Ukraine zum System der Richterfortbildung

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Mitwirkung an multilateraler Richterfortbildung der Nationalen Richterschule für das Hohe Antikorruptionsgericht der Ukraine

Aus- und Fortbildung

  • Forschungsaufenthalt einer Absolventin des Begleitstudiums zum deutschen Recht an der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw in München (LMU)

Ausblick

Es ist zu hoffen, dass der gegen die Ukraine geführte Krieg baldmöglichst endet. Vor dem Hintergrund des an die Ukraine verliehenen EU-Beitritts­kandidatenstatus wird die EU-Rechtsharmonisierung zukünftig im Mittelpunkt der Beratungen stehen. Zudem soll die Funktion des Verfassungsgerichts als unabhängiger Hüter der Grundrechte und der Rechtsstaatlichkeit gestärkt werden. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt wird die Korruptionsbekämpfung sein. Die diesbezüglich relevanten Institutionen wird die IRZ weiter unterstützen. Zudem wird die Implementierung des im Berichtsjahr verabschiedeten und Ende 2023 in Kraft tretenden Verwaltungsverfahrensgesetzes einen Schwerpunkt der Zusammenarbeit bilden. Die Beratungen zur Reform des Zivilgesetzbuchs der Ukraine führt die IRZ fort, um somit langfristig auch die Bedingungen für ein gutes Investitionsklima zu erhöhen, das für einen Wiederaufbau sehr wichtig sein wird.

Den gesamten Jahresbericht 2022 finden Sie auf unserer Website unter Mediathek – Jahresberichte.