Kosovo – Jahresbericht 2021
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- Veröffentlicht: Dienstag, 13. September 2022
Strategische Rahmenbedingungen
Rechtspolitische Ausgangslage
Am 14. Februar 2021 fanden in Kosovo bereits zum fünften Mal in sieben Jahren Parlamentswahlen statt. Die linke Reformbewegung Vetevendosje („Selbstbestimmung“) konnte mit 48 % der Stimmen die Wahl klar für sich entscheiden. Die zuletzt regierende konservative LDK („Demokratische Liga Kosovos“) rutschte hingegen auf 13 % ab. Am 22. März 2021 bestätigte das Parlament in Pristina die neue Regierung unter Premier Albin Kurti. Kurz darauf, am 4. April 2021, wurde Vjosa Osmani, die das Präsidentenamt nach dem Rücktritt von Hashim Thaci bereits interimsmäßig innehatte, zur Staatspräsidentin gewählt.
Das Wahlergebnis kennzeichnet einen deutlichen politischen Umbruch seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos im Jahr 2008. Vetevendosje steht für viele Kosovarinnen und Kosovaren für einen grundlegenden Wandel hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit, solider Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung, wirtschaftlichem Aufschwung und sozialer Gerechtigkeit. Um die Einflussnahme der Politik und der organisierten Kriminalität auf das Justizwesen zu bekämpfen, plant die kosovarische Regierung, wie zuvor schon das Nachbarland Albanien, ein umfangreiches Vetting-Verfahren des Justizwesens. In einem Zeitraum von fünf Jahren sollen alle kosovarischen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte eine unabhängige Prüfung ihrer fachlichen Eignung, persönlichen Integrität und Vermögensverhältnisse unterlaufen.
Auch außenpolitisch steht das Land vor zahlreichen Herausforderungen. Seit Inkrafttreten des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens im Jahr 2016 verfolgt Kosovo aktiv einen EU-Beitritt. Neben den angestrebten rechtsstaatlichen Reformen hängt eine EU-Mitgliedschaft Kosovos insbesondere von der Normalisierung der Beziehungen zu Serbien ab. Seit 2011 führen beide Länder einen von der Europäischen Union moderierten Dialog, der aufgrund bilateraler Konflikte rund um die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien immer wieder ins Stocken gerät. Zuletzt kam es im September 2021 zu schweren Spannungen in der Grenzregion, nachdem ein Streit um die Einführung neuer Autokennzeichen eskalierte.
Konzeption
Kosovo zählt seit vielen Jahren zu den Partnerstaaten der IRZ. Sowohl im Rahmen der mit institutioneller Zuwendung durch das Bundesministerium der Justiz finanzierten Mittel sowie mit Projektförderungen durch das Auswärtige Amt als auch im Zuge diverser EU-Projekte führt die IRZ seit rund 20 Jahren zahlreiche Beratungsmaßnahmen in Kosovo durch.
Trotz der innenpolitischen Rahmenbedingungen und erschwerten Voraussetzungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie konnten im Berichtsjahr 2021 die Tätigkeiten der IRZ zur Rechtsstaatsförderung in Kosovo fortgesetzt werden. Dabei wurde bei der Projektdurchführung auf ausgewählte Schwerpunktbereiche, langfristige Partnerschaften, eine inhaltlich kontinuierliche Projektarbeit und – angesichts der pandemischen Lage – auf digitale Formate gesetzt. Die Schwerpunkte der fachlichen Zusammenarbeit lagen 2021 vor allem im Bereich des Jugendstrafrechts, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie der juristischen Aus- und Weiterbildung.
Im zweiten Jahr in Folge fand, im Zuge dreier Rundtischgespräche in verschiedenen Regionen Kosovos, ein Austausch zur Bewährungshilfe mit dem Schwerpunkt Jugendstrafrecht statt, an dem Vertreterinnen und Vertreter der Bewährungshilfe sowie der Richter- und Staatsanwaltschaft teilnahmen. In Kooperation mit dem Vollzugs- und Ausbildungspersonal der Justizvollzugsanstalt in Lipjan wurde ein Konzept zum Umgang mit suchtkranken Jugendlichen im Strafvollzug erstellt.
Die Zusammenarbeit mit dem Kosovo Prosecutorial Council wurde im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit fortgeführt und mit Bezug auf das Thema „Change-Management und Veränderungskommunikation“ weiter intensiviert.
Ferner bot die IRZ 2021, gemeinsam mit der kosovarischen Justizakademie, Fortbildungen für Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zum Thema „Geldwäschebekämpfung“ und zu den Grundlagen des deutschen Insolvenzrechts an.
Komplettiert wird die bilaterale Zusammenarbeit der IRZ in Kosovo durch das umfangreiche und mehrjährige EU-Projekt „EUKOJUST – Kosovo Justice Sector Programme“, welches die IRZ federführend durchführt.
Tätigkeitsschwerpunkte 2021
Rechtspflege
- Online-Seminar zum Thema „Öffentlichkeitsarbeit/Change-Management und Veränderungskommunikation“ in Zusammenarbeit mit dem Kosovo Prosecutorial Council
Straf- und Strafvollzugsrecht
- Drei Online-Rundtischgespräche zur sektorübergreifenden Zusammenarbeit im Bereich der Bewährungshilfe für die Regionen Pristina, Prizren und Mitrovica
- Online-Seminar und Konzepterstellung zum Umgang mit suchtkranken Jugendlichen im Strafvollzug in Zusammenarbeit mit der Justizvollzugsanstalt in Lipjan
Aus- und Fortbildung
- Zwei Online-Weiterbildungen in Zusammenarbeit mit der kosovarischen Justizakademie, jeweils zum Thema „Geldwäsche“ und „Grundlagen des deutschen Insolvenzrechts“
Von der Europäischen Union finanzierte Projekte
EU-Grant-Projekt : „Kosovo Justice Sector Programme“
Seit Oktober 2020 führt die IRZ das Projekt „EUKOJUST“ in Kosovo durch, Kooperationspartner sind hierbei CILC (Niederlande) und das Ministerium für Justiz und öffentliche Verwaltung Kroatiens. Das 40-monatige Vorhaben mit einem Volumen von 7 Millionen Euro verfolgt das Ziel, das kosovarische Justizsystem weiter an europäische und internationale Standards anzugleichen. Es gliedert sich in vier Themenbereiche, denen sich ein 19-köpfiges internationales Team engagiert widmet:
- Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordinierung der Justizakteure, insbesondere zwischen Justizministerium, Justizrat und Rat der Staatsanwaltschaft
- Stärkung und Fortbildung der juristischen Berufsgruppen in Kooperation mit der Justizakademie und den Räten
- Angleichung und Konsolidierung des Rechtsrahmens
- Zugang zur Justiz für alle Bevölkerungsgruppen Kosovos
Das zurückliegende erste Projektjahr war zunächst noch geprägt von den Neuwahlen in Kosovo, die einen Wechsel an der Spitze des Justizministeriums sowie ein neues Regierungsprogramm für die Jahre 2021 bis 2025 mit ausführlichem Gesetzesreformprogramm für 2021 mit sich brachten. Zudem verabschiedete die Regierung im August 2021 eine Gesamtstrategie für den Justizbereich samt Aktionsplan – Ergebnis einer mehrjährigen umfassenden Untersuchung des Reformstands. Die Projektplanungen waren daher wiederholt mit diesen wichtigen Rahmendokumenten in Einklang zu bringen.
Dennoch konnten in allen vier Bereichen bereits zahlreiche Aktivitäten durchgeführt und wichtige Ergebnisse erzielt werden, etwa
- Erarbeitung einer Analyse mit Handlungsempfehlungen zur institutionalisierten Koordinierung im Justizsektor
- Untersuchungen in verschiedenen Abteilungen des Justizministeriums, unter anderem von Stellenprofilen, Personalbedarf, Arbeitsorganisation, Arbeitsbelastung, um zu nötigen Reformen beraten zu können
- Erarbeitung eines Untersuchungskonzepts der Verwaltung und (Personal-)Führung an Gerichten und Staatsanwaltschaften als Grundlage für die nötigen Reformen und Fortbildungen innerhalb der Justizbehörden
- Unterstützung der Justizakademie zur besseren Ermittlung von Fortbildungsbedarfen und -konzeption sowie Erarbeitung von Konzepten zur Verbesserung der Ausbildung für die Justiz
- Untersuchung der Infrastruktur, einschließlich IT-Strukturen, an allen Gerichten und Staatsanwaltschaften zur Erarbeitung von Konzepten für nötige Renovierungen und Beschaffungen
- Unterstützung des Justizministeriums bzw. des Rechtsreferats beim Büro des Premierministers bei der Erarbeitung zahlreicher Gesetzesreformvorhaben, wie beispielsweise Reform der Strafprozessordnung; Gesetzentwurf zu Erklärung, Herkunft und Kontrolle von Vermögenswerten und Geschenken; Gesetzentwurf zur zivilen Beschlagnahme; Gesetzentwurf zu Rechtsakten und Verwaltungsleitlinien zur Erstellung von Rechtsakten
- Vorlage einer Analyse über zurückliegende Studien zu Themen mit Bezug zu Gesetzesanwendung und Justiz in Kosovo zur Ermöglichung einer datenbasierten Reformpolitik
- Analyse des Zugangs zur Justiz und zu Justizeinrichtungen der besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen im Kosovo als Grundlage für dringend nötige Reformen zum Erreichen europäischer Standards
Ausblick
2022 wird die IRZ an die intensive Zusammenarbeit mit ihren Partnerinstitutionen in Kosovo anknüpfen und diese weiter ausbauen. Unter Berücksichtigung der pandemischen Entwicklung strebt die IRZ eine partielle Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen an, um zentrale Institutionen wie das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht wieder verstärkt zu unterstützen und wichtige Plattformen des Fach- und Erfahrungsaustauschs, aber auch der Netzwerkbildung zu ermöglichen. Ferner sollen etablierte Kooperationen, unter anderem mit den verschiedenen Abteilungen des kosovarischen Justizministeriums, dem Kosovo Prosecutorial Council und der Justizakademie inhaltlich fortgeführt werden. Der thematische Fokus der Vorjahre auf das Jugendstrafrecht, die Öffentlichkeitsarbeit im Justizwesen sowie die Aus- und Weiterbildung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten soll auch 2022 bestehen bleiben.