Kosovo – Jahresbericht 2023

Strategische Rahmenbedingungen

Rechtspolitische Ausgangslage

Nachdem Premierminister Albin Kurti angekündigt hatte, die Gehälter aller Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte kürzen zu wollen, kam es zu Streiks an Gerichten und Staatsanwaltschaften, die sich auch Anfang 2023 fortsetzten. Eine Zusammenarbeit zwischen Judikative und Exekutive war zwischenzeitlich nicht mehr möglich, alle gemeinsamen Reforminitiativen kamen zum Stillstand. Nach Unterzeichnung einer gemeinsamen Verpflichtungserklärung wurde die Zusammenarbeit wieder aufgenommen, um die weiterhin notwendigen Justizreformvorhaben voranzubringen.

Nachdem Kosovo 2022 die Aufnahme im Europarat beantragt hatte, wurde 2023 die erste formale Phase zum Beitritt erfolgreich abgeschlossen. Mit den Stimmen von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten wurde der Beitrittsantrag angenommen und der Beitrittsprozess eingeleitet. Die Zwei- Drittel-Mehrheit war möglich geworden, nachdem Russland aus dem Europarat ausgeschlossen wurde. Serbien stimmte gegen den Antrag Kosovos.

Insgesamt bleibt das Verhältnis zwischen Kosovo und Serbien sehr angespannt und hat im Jahr 2023 eine weitere Verschärfung erfahren. Auslöser war ein Beschluss der kosovarischen Regierung, ethnisch-albanische Bürgermeister in vier nordkosovarischen Gemeinden mit serbischer Bevölkerungsmehrheit einzusetzen. Serbische Bewohner hatten zuvor die dortigen Kommunalwahlen boykottiert. Es gab gewaltsame Proteste, die zu einer verstärkten Präsenz der NATO-geführten Einsatztruppe KFOR

in Kosovo führten. Im Juni schloss Kosovo seine Grenzen für Waren und Fahrzeuge aus Serbien, es kam zu Konflikten zwischen serbischen Sicherheitskräften, einer militärisch ausgerüsteten Kampftruppe und der Polizei. Die Europäische Union vermittelt weiterhin in dem Konflikt und besteht auf die Umsetzung des Ohrid-Annexes, der eine weitgehende gegenseitige Anerkennung vorsieht.

Konzeption

Als potenzieller EU-Beitrittskandidat ist Kosovo ein wichtiger Partnerstaat der IRZ. Das Bundesministerium der Justiz, das Auswärtige Amt und die Europäische Union finanzieren die umgesetzten Maßnahmen und decken alle fachlichen Schwerpunkte in mehrjährigen Projekten ab. Dabei wird bei der Konzeption darauf geachtet, dass diese Projekte dem Reformbedarf entsprechen, insgesamt komplementär zueinander sind und auf die bisherigen Projektergebnisse mit teils langjährigen Projektpartnerinstitutionen aufbauen.

Die IRZ verstärkte die Zusammenarbeit vor allem im Strafrecht, hier insbesondere durch ein durch das Auswärtige Amt gefördertes Projekt zur Geldwäschebekämpfung. Hinzu kommen Weiterbildungsmaßnahmen für das Personal im Strafvollzug im Bereich „Suchthilfe“ sowie Projekte zum Thema Bewährungshilfe.

In der Zusammenarbeit zum Verfassungsrecht konnte der regionale Ansatz vertieft werden. So tagten die beiden Verfassungsgerichte und die beiden Obersten Gerichte von Albanien und Kosovo erneut gemeinsam in Pristina.

Die Schulungen im Bereich „Öffentlichkeitsarbeit“ und „Krisenkommunikation“, die die IRZ bislang mit dem Kosovo Prosecutorial Council (KPC) und den Staatsanwaltschaften verschiedener Regionen durchführte, wurden um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gerichte erweitert.

Das mehrjährige EU-Projekt „EUKOJUST-Kosovo Justice Sector Programme“, das die IRZ federführend durchführt, rundet die Zusammenarbeit der IRZ mit Kosovo ab.

Tätigkeitsschwerpunkte 2023

Verfassungsrecht/Menschenrechte und deren Durchsetzbarkeit

  • Gemeinsame Konferenz des Verfassungsgerichts mit dem Obersten Gericht Kosovos zum Thema „Recht auf ein faires Verfahren: Artikel 6 EMRK“ in Thessaloniki
  • Regionale Konferenz zum Thema „Zugang zur Justiz“ in Kooperation mit den Verfassungsgerichten und Obersten Gerichten Kosovos und Albaniens in Pristina

Rechtspflege

  • Seminar zum Thema „Interne und externe Kommunikation von Justizbehörden: Nutzung von sozialen Medien“ für Pressesprecherinnen und Pressesprecher aus Justiz und Staatsanwaltschaft in Pristina
  • Studienreise nach Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf und Wuppertal) zum Thema „Presseund Öffentlichkeitsarbeit von Justizbehörden“ in Kooperation mit dem KPC
  • Seminar zum Thema „Krisenkommunikation der Justiz“ für Pressesprezcherinnen und Pressesprecher der Justiz in Pristina

Straf- und Strafvollzugsrecht

  • Train-the-Trainer-Workshop für das Personal des Justizvollzugs zum Thema „Aus- und Fortbildung im Bereich Suchthilfe“ in Kooperation mit der Justizanstalt in Lipjan
  • Studienreise für das Personal des Justizvollzugs zum Thema „Aus- und Fortbildung im Bereich Suchthilfe“ in Kooperation mit der Justizanstalt Lipjan nach Niedersachsen (Göttingen und Hameln)
  • Seminar zum Thema „Jugendstrafverfahren: Die Rolle und Aufgaben der Verteidigung im Ermittlungsverfahren“ in Kooperation mit der kosovarischen Rechtsanwaltskammer in Prizren
  • Zwei Rundtischgespräche zum Thema „Sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen Bewährungshilfe, Richterschaft und Staatsanwaltschaft hinsichtlich alternativer Maßnahmen und Strafen mit Fokus auf das Jugendstrafrecht“ in Pristina und Peja
  • Drei Bedarfsanalysereisen und Rundtischgespräche zum Thema „Geldwäscheprävention und -bekämpfung“ mit Akteuren der Geldwäscheverfolgung in Pristina
  • Beratung zu Geldwäscheprävention und -verfolgung (fortlaufende Begutachtung der gesetzlichen Vorschriften und Erarbeitung von Handlungsempfehlungen durch ein deutsches Expertenteam für das Büro des kosovarischen Premierministers)
  • Seminar zum Thema „Kryptowährungen“ in Kooperation mit der kosovarischen Polizei und Staatsanwaltschaft in Pristina
  • Studienreise nach Hessen und Nordrhein-Westfalen (Frankfurt, Wiesbaden und Köln) zum Thema „Kryptowährungen“ in Kooperation mit der kosovarischen Polizei und Staatsanwaltschaft
  • Zwei Seminare zum Thema „Geldwäschebekämpfung“ in Kooperation mit der kosovarischen Justizakademie in Pristina
  • Seminar zum Thema „Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ in Kooperation mit dem kosovarischen Justizministerium in Pristina
  • Übersetzung und Druck der Kommentierung bilateraler Abkommen für die strafrechtliche Zusammenarbeit in Kooperation mit dem kosovarischen Justizministerium

Aus- und Fortbildung

  • Studienreise für angehende Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nach Rheinland-Pfalz (Trier und Koblenz) in Kooperation mit der kosovarischen Justizakademie

Von der Europäischen Union finanziertes Projekt EU-Grant-Projekt EUKOJUST in Kosovo

In Kosovo leitet die IRZ im Auftrag der Europäischen Union federführend das EU-Projekt EUKOJUST in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Partner CILC und dem kroatischen Justizministerium in Pristina. Das

40-monatige Großprojekt zielt darauf ab, die Reform des Justizsektors in Kosovo voranzutreiben und die Qualität der Justiz für die Bürgerinnen und Bürger des Landes auf dem Weg zur EU-Integration zu verbessern.

Im Kontext einer möglichen EU-Mitgliedschaft erhalten die Institutionen in Kosovo Unterstützung bei der Anpassung des Justizsystems an europäische und internationale Standards sowie bei der institutionellen Vorbereitung auf den EU-Beitrittsprozess. Das Projekt legt einen besonderen Fokus auf die Verbesserung der Zusammenarbeit und Koordination innerhalb des Justizwesens, die Stärkung der Unabhängigkeit und Transparenz der Justiz, die Konsolidierung und Harmonisierung des Rechtsrahmens sowie einen verbesserten Zugang zur Justiz, insbesondere für Frauen und benachteiligte Gruppen.

Im Berichtsjahr 2023 organisierte das Projekt insgesamt 41 Veranstaltungen, darunter Workshops, Fortbildungen und Round-Table-Gespräche, und erreichte etwa 1.060 Teilnehmende. Zusätzlich erstellten die Expertinnen und Experten Analysen, Gesetzentwürfe, Gutachten, Empfehlungen bzw. begleiteten die Umsetzung.

Das kosovarische Justizministerium erhielt Beratung zur Restrukturierung und Reorganisation, während interne Regelungen überarbeitet wurden. Das Expertenteam des Projekts entwickelte eine Gesamtstrategie für die Digitalisierung des Justizsektors und richtete eine Software für die elektronische Verwaltung von Richterakten ein. Dies ermöglicht dem Justizrat, Prozesse – wie die Einstellung neuer Richterinnen und Richter, Leistungsbeurteilungen und Disziplinarverfahren – effizienter und transparenter durchzuführen.

Die Unterstützung im Bereich der Gesetzgebung umfasste unter anderem die Erstellung eines Konzeptdokuments für die Zivilprozessordnung, wodurch der Weg für dessen Ausarbeitung geebnet wurde. Im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeitsreform wurde mithilfe von Projektexpertinnen und Projektexperten ein Konzeptdokument für eine Verwaltungsgerichtsbarkeit erarbeitet und mittlerweile verabschiedet. Infolgedessen begann eine durch das Projekt unterstützte Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung des Gesetzes zur Einrichtung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. Zur rechtlichen Konsolidierung wurde die Einführung eines thematischen Vorprüfungskonzepts zur Rechtsharmonisierung initiiert.

Um den Zugang zur Justiz zu verbessern, die Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Fragen zu fördern und die praktische Umsetzung des Rechtsrahmens für den Umgang mit häuslicher Gewalt zu unterstützen, setzte das Projekt gezielte Maßnahmen zur Stärkung der diesbezüglichen Kapazitäten von rechtsstaatlichen Akteuren um. Es entwickelte zwölf Schulungsmaterialien, um die Justizreform im Einklang mit bewährten EU-Verfahren zu fördern. Zusätzlich erhielt das Justizministerium Beratung bezüglich des verabschiedeten Gesetzes über Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder, um es an den EU-Besitzstand und dieIstanbul-Konvention anzupassen. Zur Verbesserung des Zugangs zur Justiz führte das Projekt darüber hinaus mehrere Informationsveranstaltungen und Schulungen als Schutzmaßnahmen für Opfer durch.

Trotz innenpolitischer Schwierigkeiten und vorübergehender Stagnation in der Zusammenarbeit zwischen dem Justizministerium und den Justizräten wurden erhebliche Fortschritte in der Unterstützung des interinstitutionellen Koordinierungsmechanismus erzielt. Die verschiedenen Institutionen des Justizwesens konnten Blockaden überwinden, indem sie eine schriftliche Vereinbarung über gemeinsame Rechtsreformpakete getroffen haben. In diesem Zusammenhang unterstützte EUKOJUST im Laufe des Berichtsjahres die Institutionen bei der Koordinierung von Arbeitsgruppen, regelmäßigen Arbeitstreffen und der Ausarbeitung von Sachstandsberichten.

Die IRZ beantragte bei der Europäischen Union eine kostenneutrale Verlängerung des Projekts bis Juni 2024, um die Justizakteure weiterhin bei der Umsetzung des Aktionsplans zu begleiten.

Ausblick

Auch 2024 wird die IRZ an die intensive und gewinnbringende Zusammenarbeit mit ihren Partnerinstitutionen in Kosovo anknüpfen.

Die IRZ beabsichtigt dabei – im Rahmen der Möglichkeiten – auch zentrale Institutionen wie das Verfassungsgericht und das Oberste Gericht zu unterstützen und wichtige Plattformen des Fach- und Erfahrungsaustauschs und damit auch der Netzwerkbildung zu ermöglichen. Ferner

soll die etablierte Kooperation unter anderem mit den verschiedenen Abteilungen des kosovarischen Justizministeriums, mit dem KPC und der Justizakademie fortgeführt werden. Der thematische Fokus soll 2024 im Bereich „Zugang zur Justiz unter anderem für vulnerable Gruppen“ liegen und gleichzeitig Themen wie das Jugendstrafrecht, die Öffentlichkeitsarbeit im Justizwesen und die Aus- und Weiterbildung der Richter- und Staatsanwaltschaft umfassen.