Am 9. September 2022 veranstaltete das Zentrum für die Edukation der Richter und Staatsanwälte der Föderation Bosnien und Herzegowina in Zusammenarbeit mit der IRZ ein Online-Seminar für Richterinnen und Richter zum Thema Medizin- und Arzthaftungsrecht.
Referierende waren mit Prof. Dr. Jozo Čizmić von der Jurisischen Fakultät in Split, Kroatien und Prof. Dr. Amila Ferhatović, Sarajevo zwei Fachleute, die aufgrund ihrer Sprachkenntnisse, wissenschaftlichen Tätigkeit und verschiedener Forschungsaufenthalte umfassend auf die einschlägige deutsche Rechtsprechung eingingen. Diese dient als Orientierung in dem Bereich Medizin- und Arzthaftungsrecht – zwei Rechtsgebiete, die in Bosnien und Herzegowina erst langsam praktische Bedeutung gewinnen.
Aufklärungs- und Dokumentationspflicht, Sorgfaltspflichtverletzungen und Fragen der Beweislast standen im Fokus der Veranstaltung. Außerdem wurde auf europarechtliche Vorgaben eingegangen.
Prof. Dr. Ferhatovic stellte auch arzthaftungsrechtliche Entscheidungen in Bosnien und Herzegowina vor und wies darauf hin, dass Schulungen der Anwaltschaft in Medizin- und Arzthaftungsrecht notwendig wären, da viele Patientinnen und Patienten wegen unzureichender Kenntnisse ihrer Anwältinnen und Anwälte Ansprüche nicht geltend machen würden.
Insgesamt zeichneten die vorgestellten Fälle aus der zivil- und strafrechtlichen Praxis ein eindrucksvolles Bild auch der Missstände im Gesundheitswesen des Landes, zu deren Beseitigung die Justiz durch eine konsequente und einheitliche Rechtsprechung beitragen kann.
Am 6. und 7. Juli 2022 fand der Workshop “Die Rechte von Flüchtenden – Zugang zu wirtschaftlichen und sozialen Rechten“ statt, welchen die IRZ zusammen mit der bosnisch-herzegowinischen NGO „Vaša Prava“ ausrichtete.
Neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Vaša Prava, die ein landesweites Legal Aid Netzwerk betreibt, nahmen auch Kolleginnen und Kollegen aus Nichtregierungsorganisationen aus Serbien und Nordmazedonien an dem Workshop teil. Außerdem beteiligten sich Mitarbeitende des Ministeriums für Menschenrechte und Flüchtlinge von Bosnien und Herzegowina und des UNHCR Standorts Sarajevo.
Der Workshop zeigte viele Parallelen zwischen den rechtlichen Regelungen und deren praktischer Umsetzung in den Teilnehmerstaaten auf. So werden die gesetzlichen Vorschriften, in denen die Rechte von Flüchtenden genau geregelt sind, überwiegend als positiv angesehen. In der Praxis gibt es erhebliche Umsetzungsdefizite, die durch fehlende Ausführungsvorschriften, Widersprüche zu anderen gesetzlichen Regelungen, aber auch Unkenntnis bei zuständigen Behörden und fehlende Kapazitäten bedingt sind.
Unter dem Stichwort „Integration auf der Hälfte des Weges?“ diskutierten die Teilnehmenden, inwieweit eine Integration in Transitstaaten überhaupt machbar und von den Betroffenen gewünscht ist. Die COVID-19-Pandemie habe die Probleme bei der Betreuung von Flüchtenden verschärft, auch sei der ständige Austausch der NGOs mit staatlichen Stellen ins Stocken geraten.
Als Auswirkung des russischen Angriffs auf die Ukraine gibt es derzeit auch Flüchtende von dort in der Region, die meist regulär mit noch geltenden Touristenvisen eingereist sind. Erfahrungen mit deren Behandlung als Flüchtende fehlen derzeit.
Der Workshop war die erste IRZ-Präsenzveranstaltung in der Region seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Die Teilnehmenden profitierten von den Vorteilen des Präsenzformates und führten einen intensiven Erfahrungs- und Gedankenaustausch, den sie auch außerhalb des offiziellen Programms fortsetzten. Damit bot die Veranstaltung den anwesenden Kolleginnen und Kollegen aus den drei beteiligten Ländern die Gelegenheit, sich nach mehr als zwei Jahren Unterbrechung wieder persönlich auszutauschen. Die Veranstaltung trug damit auch zur lokalen Vernetzung bei.
Am 29. Juni 2022 fand das Online-Seminar „Kollisionsrechtliche Fragen des Status-, Familien- und Erbrechts“ statt, welches die IRZ und das Edukationszentrum für die Richter- und Staatsanwaltschaft der Föderation Bosnien und Herzegowina gemeinsam veranstalteten.
Als Referenten konnten die Veranstalter drei Fachleute aus Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Serbien gewinnen, die durch einschlägige Veröffentlichungen und Forschungsaufenthalte bei verschiedenen Institutionen in Deutschland über hervorragende Expertise verfügen.
Das Seminar eröffnete Prof. Dr. Zlatan Meskić von der Juristischen Fakultät Zenica, Bosnien und Herzegowina, der – zusammen mit dem nachfolgenden Referenten Prof. Dr. Slavko Djordjević von der Juristischen Fakultät Kragujevać, Serbien – Autor eines als bosnisch-herzegowinisch-serbisches Gemeinschaftsprojekts erschienenen Lehrbuchs des Internationalen Privatrechts (IPR) ist. Das dritte Referat hielt Prof. Dr. Maya Kostić Mandić von der Juristischen Fakultät der Universität Podgorica in Montenegro, die ebenfalls Autorin eines Lehrbuchs zum IPR ist.
Aufgrund der vielfältigen grenzüberschreitenden persönlichen Beziehungen, die typisch sind für die Region des ehemaligen Jugoslawiens, spielt das Internationale Privatrecht im Familien- und Erbrecht eine bedeutende Rolle. In Bosnien und Herzegowina stellen sich auch innerstaatliche Konkurrenzprobleme der geltenden Rechtssysteme. So kennt das Erbrecht der Föderation Bosnien und Herzegowina Erbverträge, während nach dem Recht der Republika Srpska als zweite Entität solche nichtig sind. Entscheidungen mit weitreichender Bedeutung für die Betroffenen hängen deshalb häufig von der "technischen" Frage des anwendbaren Rechts ab. Im Rahmen der Diskussionen sind die Teilnehmenden auch auf diese Problematiken eingegangen.
Unterschiede zwischen den drei beteiligten Staaten gibt es hinsichtlich des Stands der Rechtstransformation: Während in Bosnien und Herzegowina sowie Serbien nach wie vor das frühere gesamtjugoslawische IPR-Gesetz gilt, verfügt Montenegro bereits über ein neues Gesetz, das die vereinheitlichten kollisionsrechtlichen Verordnungen der EU in nationales Recht integriert. Der Vortrag zu Montenegro gewährte deshalb – aus Sicht der bosnisch-herzegowinischen Teilnehmenden – einen ersten Einblick auf Änderungen, die künftig im eigenen Rechtssystem zu erwarten sind.