Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann empfing die Justizministerin des Kosovo Albulena Haxhiu und ihre Delegation am 16. Juni 2022 in Berlin. Die laufende Justizreform in der Republik Kosovo war Gegenstand des offiziellen Besuchs.
Diese und weitere Reformthemen sind bereits Gegenstand der Beratungen, die die IRZ im Rahmen des EU-Projekts „EUKOJUST“ leistet. Deshalb wirkte – in Vertretung der Hauptgeschäftsführung der IRZ – Teresa Thalhammer, Projektbereichsleiterin der IRZ an dem Treffen mit.
Ministerin Haxhiu und Minister Buschmann hoben das große Interesse an einer stärkeren Zusammenarbeit ihrer beiden Häuser in zivilrechtlichen und strafrechtlichen Angelegenheiten hervor und tauschten sich über aktuelle Herausforderungen etwa im Bereich der Digitalisierung aus, die in beiden Ländern von ähnlichen Fragestellungen begleitet wird.
Justizsektorreform in Kosovo
Im Rahmen dieses Treffens berichtete die Ministerin auch über die wichtigsten Ziele der Justizsektorreform in Kosovo. Dabei betonte sie die hohen Erwartungen der kosovarischen Bevölkerung an ihre Regierung, greifbare Erfolge zu erzielen, um Vertrauen in eine funktionierende und integre Justiz aufzubauen.
Langjährige Kooperation mit der Bundesnotarkammer
Dem Besuch im Ministerium war ein Arbeitstreffen zu Reformen im Notarwesen auf Einladung der Bundesnotarkammer (BNotK) vorausgegangen.
Zwischen dieser und der kosovarischen Notarkammer besteht eine langjährige Kooperation, in deren Rahmen die Bundesnotarkammer kürzlich das kosovarische Notargesetz begutachtet und einige Reformvorschläge ausgearbeitet hatte.
An dem Treffen nahmen daher neben der Ministerin und den Vertreterinnen des Ministeriums auch der Präsident der kosovarischen Kammer, Aliriza Beshi, sein Vize-Präsident und ein weiterer Kammervertreter teil. Es fand ein konstruktiver fachlicher Austausch zwischen den beiden Kammern statt, in dem Justizrat Richard Bock, Notar a.D. und Generalbevollmächtigter der BNotK für internationale Angelegenheiten sowie zwei weitere Vertreter der BNotK die Reformvorschläge erläuterten.
Ministerin Haxhiu informierte über die geplante Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Reformentwurfs und es wurde vereinbart, dass die BNotK in die Beratung der Arbeitsgruppe eingebunden wird.
Die IRZ veranstaltete die Fachtagung „Das Zusammenspiel der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit – Erfahrungen aus Kosovo, Albanien und Deutschland“ am 17. und 18. Mai 2022 in Kosovo.
Über 80 Richterinnen und Richter sowie wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Verfassungsgerichte und Obersten Gerichte der Republiken Kosovo und Albanien tauschten im Laufe der zweitägigen Konferenz ihre Erfahrungen im Hinblick auf die Kompetenzverteilung zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und der ordentlichen Gerichtsbarkeit aus. Von deutscher Seite wirkte im Auftrag der IRZ Prof. Dr. Reinhard Gaier, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., maßgeblich an der Veranstaltung mit.
Die vier Gerichtspräsidentinnen und Gerichtspräsidenten betonten bereits in ihren Grußworten die Bedeutung eines gerichtsübergreifenden und regionalen Erfahrungsaustausches und erinnerten an die Entwicklung des Verhältnisses beider Gerichtsbarkeiten.
Das erste Panel der Konferenz widmete sich der Zuständigkeit der Verfassungsgerichte und der Rolle der ordentlichen Gerichte bei der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen. In seinem Impulsvortrag stellte Prof. Dr. Gaier das Verfahren der konkreten Normenkontrolle dar und differenzierte zwischen Prüfungskompetenz eines jeden Gerichts und dem Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts. Die vier Teilnehmenden aus den vier vertretenen Gerichten diskutierten im Anschluss die praktische Umsetzung des konkreten Normenkontrollverfahrens in Kosovo und Albanien und tauschten sich über aktuelle Entwicklungen und Probleme aus.
Das zweite Panel behandelte das Thema der offensichtlich fehlerhaften Rechtsanwendung und Rechtsauslegung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit und bot die Möglichkeit einer umfassenden Betrachtung aus der Sicht der beiden Verfassungsgerichte und Obersten Gerichte. Dabei wurde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie die von Prof. Dr. Gaier vorgestellte deutsche Praxis mit einbezogen und diskutiert. In diesem Zusammenhang betonte Prof. Dr. Gaier, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht ausschließlich Verfassungsrecht prüfe und seine Kontrolle von Entscheidungen ordentlicher Gerichte ausdrücklich nur auf Verfassungsverstöße beschränke.
Der erste Veranstaltungstag endete mit lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmenden und einer Zusammenfassung der Ergebnisse durch Prof. Dr. Gaier.
Am Folgetag wurde im Rahmen eines dritten Panels die Frage der Konsolidierung der nationalen Rechtsprechung und der Rechtssicherheit als wesentlicher Bestandteil eines fairen Verfahrens thematisiert. Während die albanischen und kosovarischen Referenten und Referentinnen hierfür vor allem die Rechtsprechung des EGMR heranzogen, beleuchtete Prof. Dr. Gaier diese Frage – gemäß der deutschen Praxis – unter dem verfassungsgerichtlichen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.
Das vierte und letzte Panel befasste sich mit der Rolle der ordentlichen Gerichte bei der vollständigen Umsetzung der Urteile des Verfassungsgerichts zur Entschädigung für Menschenrechtsverletzungen. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere der Rechtsschutz wegen überlanger Verfahren und dessen Auswirkung auf die ordentliche Gerichtsbarkeit besprochen.
Die Veranstaltung stieß bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf großes Interesse. Die Impulsvorträge von Prof. Dr. Gaier und die anschließenden Präsentationen der kosovarischen und albanischen Teilnehmenden boten Grundlage für einen intensiven Austausch über Erfahrungen sowie aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen in Kosovo und Albanien. Auch mögliche Lösungsansätze aus den jeweiligen Rechtsordnungen haben die Teilnehmenden diskutiert.
Die Veranstaltung finanzierte das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der institutionellen Zusammenarbeit.
Die Kooperation mit den Verfassungsgerichten und den Obersten Gerichten beider Länder soll in Zukunft weitergeführt und intensiviert werden.
Die IRZ implementiert seit Oktober 2020 federführend das großvolumige EU geförderte Grant Projekt „European Programme/ Kosovo Justice Reform (EUKOJUST)“ in einem internationalen Konsortium gemeinsam mit den niederländischen Partner CILC und dem kroatischen Ministerium für Justiz und öffentliche Verwaltung (MoJPA).
Mit einem Volumen von 7 Millionen Euro und einer Laufzeit von 40 Monaten unterstützt EUKOJUST die kosovarischen Institutionen bei der Umsetzung der Justizreform und der Strategie für Rechtsstaatlichkeit, welche als Ergebnis einer zuvor umfassenden Überprüfung des Justizsektors im Kosovo hervorging.
Mit dem Ziel das kosovarische Justizsystem im Einklang mit europäischen und internationalen Standards zu bringen und das Vertrauen der Bevölkerung in das Justizsystem zu stärken, knüpft EUKOJUST an Ergebnisse aus vorangegangenen Projekten an und setzt konsolidiert und bedarfsorientiert Reforminitiativen für den gesamten Justizsektor unter einem Dach um.
Zu den Begünstigten des Projektes zählen das Justizministerium, der kosovarische Staatsanwaltschaftsrat, der kosovarische Justizrat, die kosovarische Justizakademie, die Rechtsabteilungsbüros des Premierministeriums, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Gerichten und Staatsanwaltschaften und freien juristischen Berufen sowie Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und auch Organisationen der Zivilgesellschaft im Justizsektor.
Das EUKOJUST-Projektteam, bestehend aus einem 19-köpfigen internationalem Team, einer großen Zahl internationaler und nationaler Experten vor Ort unter der Leitung des Teamleiters, implementiert eine Vielzahl an geplanten Aktivitäten mit einem Fokus auf die Stärkung der Kapazitäten und der interinstitutionellen Koordinierung im Justizsektor, die Stärkung der Unabhängigkeit und der Transparenz der Justiz, Konsolidierung und Angleichung des rechtlichen und institutionellen Rahmens und die Verbesserung des Zugangs zur Justiz insbesondere für Frauen und marginalisierte oder benachteiligte Gruppen.
Ein Lenkungsausschuss des Projekts, das „Steering Committee“ setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der EU-Delegation im Kosovo, der einzelnen kosovarischen Ministerien und der Konsortiums Mitglieder der IRZ, CILC sowie des kroatischen Justizministeriums zusammen. Der Ausschuss tagt in regelmäßigen Abständen und steuert und überwacht den Fortschritt des Projektes.